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Söder will die „No-Covid“-Strategie mit neuer Ampel für Bayern - doch der Widerstand ist zu groß

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Markus Söder trägt die Linie der Bundesregierung mit, zufrieden macht sie ihn nicht. Bayerns Ministerpräsident würde gerne die Strategie wechseln: „No Covid“ heißt das Konzept.

München – Man hatte es Markus Söder schon angemerkt, als er an der Seite der Kanzlerin die 35er-Inzidenz als neuen Richtwert vertreten musste: Das reicht ihm nicht. Im „heute journal“ sagte Bayerns Ministerpräsident dann, welche Linie er gerne gehabt hätte: „Ich selber wäre schon ein Anhänger einer No-Covid-Strategie.“ Im bayerischen Kabinett wiederholte Söder die Aussage am Donnerstag. Nur: Durchsetzen kann er sie nicht – zu viel Widerstand aus anderen Bundesländern. Das Konzept, das er meint, kennt nur zwei Zustände: Rot oder Grün. Es erinnert an die Ampel, die Bayern im Oktober eingeführt hatte – und durch explodierende Infektionszahlen obsolet wurde. Die neue Ampel aber funktioniert anders und stammt von deutschen Wissenschaftlern.

Einer der Macher der „No-Covid-Strategie“ ist Clemens Fuest, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität und Präsident des ifo-Instituts. Auch Fuest hadert mit der Bundesregierung: „Es fehlt eine überzeugende Gesamtstrategie. Vor allem ist zu kritisieren, dass zu wenig getan wird, um Öffnungen zu ermöglichen“, sagte er dem Münchner Merkur. „Man könnte die Infektionszahlen durch deutlich mehr Tests, beispielsweise vor Schulen, schnelleres Entdecken von Infektionen und Isolieren der Infizierten sehr schnell auf niedrige Werte senken. Die Politik agiert hier viel zu schwerfällig und passiv.“ Dass das No-Covid-Konzept erst einmal abschreckend wirkt, ist Fuest bewusst. „Ja, man muss viel erklären und Überzeugungsarbeit leisten.“ Aber worum geht es überhaupt? Ein Überblick.

Wer steckt hinter der No-Covid-Initiative?

14 Wissenschaftler diverser deutscher Hochschulen und Institutionen, darunter neben Fuest die Professorin Melanie Brinkmann vom Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig und Dr. Markus Beier, Allgemeinarzt und Vorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbands. Das Konzept wurde am Mittwoch vorgestellt.

Was ist der Plan der No-Covid-Initiative?

Die Autoren fordern eine Abkehr von der Eindämmungsstrategie („mit dem Virus leben“) hin zu einer Eliminationsstrategie. Das Ziel sind nachhaltig niedrige Inzidenzen unter zehn – im Idealfall null. „Unsere Strategie eröffnet die Chance, sehr bald zu Öffnungen zu kommen, die dann auch dauerhaft sind“, sagt Fuest. „Zunächst regional. Wir haben schon heute viele Regionen mit Inzidenzen zwischen 15 und 30, dort könnte man noch im Februar Öffnungen einleiten. Mit dem derzeitigen Durchwurschteln befürchte ich einen Dauer-Lockdown.“

Die No Covid-Initiative ist nicht identisch mit der „Zero Covid“-Gruppe, die einen weitreichenden und längeren Lockdown fordert. Diese Forderung halten Fuest und seine Mitstreiter wegen der immensen wirtschaftlichen Folgekosten für einen Irrweg.

Das No-Covid-Konzept beruht auf vier Säulen: grüne Zonen, europaweite Umsetzung, Testen-Aufspüren-Isolieren sowie Maßnahmen im Bereich Wirtschaft und Arbeitsmarkt.

Markus Söder (CSU) sitzt zu Beginn einer Sitzung des Ministerrats in der Staatskanzlei mit FFP2-Maske auf seinem Platz
Markus Söder (CSU) sitzt zu Beginn einer Sitzung des Ministerrats in der Staatskanzlei mit FFP2-Maske auf seinem Platz. © Matthias Balk/dpa Pool/dpa

Corona-Ampel: Grüne Zonen und rote Zonen

Zentrales Element ist das Einrichten von Zonen. Es gibt grüne und rote Zonen. In grünen Zonen können die Einschränkungen zurückgenommen werden, in roten Zonen bleiben sie. Die Zonen wären flexibel festlegbar – es könnte sich um Kommunen, Landkreise, aber auch um einzelne Wohnblöcke handeln. Um zur grünen Zone zu werden, darf es 14 Tage lang keine Neuinfektion unbekannten Ursprungs geben, also Corona-Fälle, die keiner schon entdeckten und isolierten Infektionskette zuzuordnen sind. Zudem muss die 7-Tage-Inzidenz unter zehn liegen.

Werte unter zehn gab es schon vergangenen Sommer. Sie waren nicht von Dauer. Warum das dieses Mal anders sein sollte? „Weil man ein umfassendes Konzept dafür hat, zu verhindern, dass die Zahlen wieder steigen“, sagt Fuest. „Beispielsweise durch intensives Testen und schnelle Reaktionen auf wieder steigende Infektionen. Das hat man im Sommer versäumt.“

Grüne Zonen sollen durch Reisebeschränkungen stark geschützt werden: Menschen aus roten dürfen grüne Zonen nicht besuchen. Die Bürger sollen durch die Aussicht auf grüne Zonen motiviert werden, sich an die Regeln zu halten. Pendler zwischen grünen und roten Zonen und ihre Arbeitgeber sollen besonderen Kontrollen und Auflagen unterliegen. Grüne Zonen, die durch rote Zonen getrennt sind, könnten über Transitwege verbunden werden. Die Autoren glauben, dass aus dem rot-grünen Flickenteppich so ein immer grünerer, nachhaltiger coronafreier Teppich wird. Allerdings bedeutet das Konzept auch eine Zweiteilung in Zonen, in denen das Leben wieder blüht, und solche, wo die Menschen weiter eingeschränkt leben müssen. Das könnte in Bayern gerade grenznahe Landkreise wie Tirschenreuth treffen, wo die Inzidenz gestern bei 333,1 lag.

Sollte in einer grünen Zone wieder eine Corona-Infektion unbekannten Ursprungs auftreten, schlagen die Autoren ein „effektives Ausbruchsmanagement“ vor. Das kann Massentests und lokale Kontaktbeschränkungen, zum Beispiel für einen Wohnblock, einschließen. Im Extremfall wird aus Grün wieder Rot.

Was sieht das Konzept sonst noch vor?

Die Wissenschaftler haben drei weitere „Werkzeugkisten“. Dazu gehört eine paneuropäische No-Covid-Partnerschaft, um das Zonenmodell über Ländergrenzen hinaus umzusetzen. Das könnte nach Einschätzung der Wissenschaftler gelingen, sofern sich genügend gleichgesinnte Kommunen finden – auch wenn nicht alle Regierungen mitmachen.

Dritter Teil ist eine umfassende Teststrategie mit besserer und schnellerer Kontaktnachverfolgung – inklusive Isolation von Verdachtsfällen und Kontaktpersonen. „Eine schnelle Isolierung ist einer der wichtigsten Hebel, um das Infektionsgeschehen effektiv einzugrenzen“, schreiben die Autoren. Die Wissenschaftler kritisieren unter anderem lange Wartezeiten bei Tests. Zudem müsse schon bei den geringsten Symptomen getestet werden – und zwar noch am selben Tag.

Der vierte Teil sind Vorschläge für die Wirtschaft: So plädieren die Autoren dafür, Unternehmen flächendeckend und umfassend zur Arbeit im Heimbüro anzuhalten – ohne dies zur Pflicht zu machen. Unternehmen sollen außerdem ihre Hygienekonzepte an medizinische Standards anpassen. Sofern Verschärfungen des Lockdowns notwendig werden, soll das Industriebetriebe erst so spät wie möglich treffen.

„No-Covid“-Strategie: Es muss schneller geimpft werden

Die Wissenschaftler messen dem Impfen eine „überragende Bedeutung“ bei und fordern Prämien für zusätzliche, früher gelieferte Impfdosen. Nach Schätzungen liege der gesamtgesellschaftliche Vorteil einer sofort verfügbaren Impfung bei 1500 Euro, während eine Impfung nur vier bis 15 Euro koste. Fuest sagt: „Der Verzicht darauf, mit gezielten finanziellen Anreizen mehr Impfungen zu beschaffen, verlängert die Pandemie und den Lockdown unnötig.“

„No-Covid“-Strategie: Droht mit dem Konzept eine Art Polizeistaat?

Das Konzept sieht Kontrollen zwischen roten und grünen Zonen vor. Um die Mobilität zu gewährleisten, soll es ausgewiesene Transitorte geben. Auch könnte es in einer grünen Zone, die an eine rote Zone grenzt, sogenannte „Pufferzonen“ in der grünen Zone geben, in der Auflagen wie in roten Zonen gelten. All das klingt nach viel Aufwand und Kontrolle. Droht eine Art virologischer Polizeistaat?

„Das ist Quatsch“, betont Fuest. „Wir haben schon heute Mobilitätsbeschränkungen bei einer Inzidenz von über 200, trotzdem redet niemand von einem Polizeistaat. Die meisten Menschen halten sich freiwillig an die Regeln, die Polizei würde Stichprobenkontrollen machen, wie heute auch. Wenn 90 Prozent der Bevölkerung die Regeln einhalten, ist schon viel gewonnen.“ Heute sei es nicht mal möglich, Familie in der gleichen Stadt zu besuchen oder zum Sport zu gehen. „Das No-Covid-Konzept sorgt dafür, dass das schneller wieder möglich ist – je mehr grüne Zonen es gibt, desto schneller auch wieder über Regionen hinweg. Außerdem kann man Härtefallregeln vorsehen, zum Beispiel für Besuche bei Familienmitgliedern, die allein leben.“

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