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Solidarität ist reziprok

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Impfung in Malawi: Versprechen zur Klimafinanzierung, Impfgerechtigkeit und strukturbildender Entwicklungszusammenarbeit müssen eingelöst werden.
Impfung in Malawi: Versprechen zur Klimafinanzierung, Impfgerechtigkeit und strukturbildender Entwicklungszusammenarbeit müssen eingelöst werden. © Joseph Mizere/dpa

Die von Kanzler Scholz beschworene Zeitenwende bedeutet für Deutschland und Europa, deutlich mehr als je zuvor in die eigene Glaubwürdigkeit investieren zu müssen. Die Kolumne „Gastwirtschaft“.

Die eklatanten Völkerrechtsbrüche Russlands, Invasion und Kriegsverbrechen in der Ukraine sind Teil der geopolitischen Aushandlung von Einflusszonen. Überdies schreitet seit Jahren der Abbau demokratischer Institutionen auf allen Kontinenten voran, und die Vereinten Nationen als System multilateraler Steuerung sind zunehmend geschwächt.

Weniger als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in Demokratien, so der Democracy Report 2021. Im Nahen Osten und Nordafrika werden 90 Prozent der Länder als Autokratien klassifiziert. Dynamische Autokratisierungstendenzen sind auch in Europa zu beobachten. Die Wahlen in Ungarn und Serbien sind hier Anzeichen. Die bevorstehende Stichwahl in Frankreich ist entscheidend für die Zukunft der EU.

Auf der Ebene der Vereinten Nationen sind globale Steuerung und Friedenssicherung seit Jahren gekennzeichnet von Systemrivalitäten. Polarisierungsprozesse erschweren die Bearbeitung dringlicher Menschheitsfragen wie Ungleichheit, Armut, Klima und Artensterben. Der Krieg Russlands in der Ukraine birgt die Gefahr, dass das System der Vereinten Nationen zerfällt: in einen intergouvernementalen Teil, dominiert in den Beschlussfassungen von China, Russland und der Mehrheit der Entwicklungsländer, und in einen Teil der G7-Länder mit Fonds und Programmen, die von zweckgebundener Finanzierung, Personal und Soft Power geprägt sind. Die Wirkung der Sanktionen gegen Russland auch auf andere Länder sowie die weitere Positionierung Chinas zu Russland sind hier entscheidend.

Die von Kanzler Scholz beschworene Zeitenwende bedeutet für Deutschland und Europa, deutlich mehr als je zuvor in die eigene Glaubwürdigkeit investieren zu müssen. Die Solidarität, die wir von der internationalen Staatengemeinschaft einfordern, muss wechselseitig gelten. Der Demokratische Frieden Immanuel Kants muss, neben Frieden, Freiheit und Wohlstand, für Verlässlichkeit im gemeinsamen Schultern von Krisen stehen.

Dies bedeutet, dass lange gegebene Versprechen zur Klimafinanzierung, Impfgerechtigkeit und strukturbildender Entwicklungszusammenarbeit eingelöst werden müssen. Auch muss die Agenda 2030 neben den externen Politikfeldern in der Innenpolitik als Leitprinzip jeglichen Regierungshandeln verankert werden.

Die Autorin ist Direktorin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) und Professorin der Universität Bonn.

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