Die israelisch-türkischen Beziehungen schienen beim Besuch von Israels Präsident Yitzhak Herzog in Ankara dieses Jahr auf dem Weg der Besserung zu sein. Auch trafen sich die beiden Staatschefs, Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Premierminister Benjamin Netanyahu, erstmals in New York. Der 7. Oktober 2023 hätte die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel auf ein neues politisches Parkett heben und eine neue "Zeitenwende" etablieren können. Doch die populistische Identitätspolitik des türkischen Präsidenten der letzten Jahre steht dem im Weg.

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Sein Besuch in Berlin war höchst umstritten: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan.
Foto: REUTERS/FABRIZIO BENSCH

Der Schock und die Verurteilung der Massaker der islamistischen Terrororganisation Hamas in der Türkei waren nur von kurzer Dauer, zumindest auf politischer Ebene. In der Gesellschaft waren vor allem die Stimmen der Sympathisantinnen und Sympathisanten der Terrororganisation zu hören. Dies ist umso verwunderlicher, wenn man bedenkt, dass die türkische Sicherheitspolitik seit vielen Jahren ihre westlichen Verbündeten auffordert, ihre Lage ernst zu nehmen und gemeinsam dem Sicherheitsrisiko innerhalb und außerhalb der türkischen Grenzen ein Ende zu setzen, insbesondere aufgrund der eigenen Herausforderungen mit Terrororganisationen und der Opfer, die die bewaffneten Auseinandersetzungen seit den 1980er-Jahren forderten.

Nur wenige Tage nach dem 7. Oktober 2023, als die israelische Armee begann, gegen die Terrororganisation Hamas vorzugehen und Luftangriffe durchzuführen, versammelten sich viele türkische Bürgerinnen und Bürger in den Metropolen sowie an amerikanischen und israelischen Botschaften, um ihren Unmut über die israelische Militäroperation kundzutun. Parallel dazu versuchte Erdoğan in Absprache mit Moskau und dem UN-Generalsekretär, der Türkei die Rolle des Mediators zwischen Israel und der Hamas zu sichern. Eine solche Vorgehensweise käme einer politischen Aufwertung der Hamas gleich, und dies fast unmittelbar nach deren Massaker an der israelischen Bevölkerung, sowie einer politischen Legitimation der Terroristen.

Bemühungen ignoriert

Gleichzeitig wurden die amerikanischen Bestrebungen, die regionalen Akteure an einen Tisch zu bringen und gemeinsam die Herausforderungen seit dem 7. Oktober zu bewältigen, von der türkischen Regierung ignoriert. Ankara hat bewusst auf eine Ausgleichsdiplomatie und -politik mit den USA verzichtet. Ein außenpolitischer Kurs, den Ankara seit Jahren aktiv verfolgt, zumal es der Überzeugung ist, dass sich die USA aus dem Nahen Osten zurückziehen sollten. Dies unter anderem, weil die Türkei die Unterstützung der Biden-Administration für kurdische Einheiten, die die jihadistischen Gruppen in Syrien erfolgreich bekämpfen, als Sicherheitsrisiko einstuft.

Biden – wie auch schon Barack Obama – ist bis heute daran gescheitert, die türkische Außenpolitik in Syrien dazu zu bringen, jihadistische Kräfte zu neutralisieren. Interessanterweise hat Washington bis dato die militärischen Aktionen Ankaras gegen kurdische Gruppen auf syrischem Boden nicht aktiv zu verhindern versucht, obwohl das Vorgehen der Türkei vor allem die Terrororganisation IS stärkt.

Nicht nur die Politik der Türkei in Syrien, sondern auch die Frage des Nato-Beitritts Schwedens führen dazu, dass Ankara und seine westlichen Bündnispartner mehr und mehr auseinanderdriften. Schweden ist bereits mehrere Kompromisse eingegangen, damit Ankara den Weg für die Aufnahme nicht mehr blockiert. Seit dem 7. Oktober sind auch in diesem Zusammenhang die Fronten wieder erhärtet, weil Ankara die Sendung zweier amerikanischer Kriegsschiffe zur Unterstützung Israels als Interferenz mit den außenpolitischen Interessen der Türkei verbucht. Erneut waren auch in den letzten Wochen Stimmen aus der türkischen Politik zu hören, dass die USA hinter dem Putschversuch von 2016 in der Türkei stecken würden.

Aus der oben geschilderten Perspektive nimmt die AKP-Regierung die Entwicklungen seit dem 7. Oktober wahr. Für die Türkei ist die "Zeitenwende" bereits seit vielen Jahren eine Realität. Die bisherigen Akteure der internationalen Politik haben ihren Einfluss – worauf auch immer er beruhte – bereits verspielt. Deutlich wird dies, weil bereits im syrischen Bürgerkrieg gesetzte rote Linien, die überschritten wurden, toleriert wurden. Im Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien bleiben Reaktionen und Handlungen des Westens aus.

Keine Konsequenzen

Insofern wundert es nicht, dass die Türkei seit vielen Jahren unterschiedliche islamistische Gruppen auf ihrem Territorium duldet und es ablehnt, diese als Terrororganisationen zu bezeichnen, weil geopolitisch Handlungen, die vor einigen Jahren noch geahndet wurden, heute keine Konsequenzen nach sich ziehen. Dies erklärt auch das Handeln der Türkei mit Blick auf die Terrororganisationen Hamas. Die Türkei will keinen Flächenbrand in der Region, ihr außenpolitisches Ziel ist in diesem Konflikt, die aus ihrer Sicht politische Unfähigkeit der USA und der EU für die Weltöffentlichkeit zu verdeutlichen.

Bilaterale Beziehungen mit westlichen Verbündeten werden vom türkischen Präsidenten genutzt, um auf die außenpolitischen Interessen der Türkei hinzuweisen, wobei deutlich zu beobachten ist, dass den Gesprächspartnern vorgeworfen wird, sie würden sich nicht ausreichend um die Sicherheit der Türkei bemühen. Zu einer Verurteilung der Hamas wird es nicht kommen, ebenso wenig wie zur Abkehr von der autoritären Politik im Inneren und der expansiven Politik in der Außenpolitik. Davon zeugt auch das Treffen mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz vergangene Woche. Zu viel steht für Erdoğan und seine AKP auf dem Spiel: Ihre gesamte auf Identitätspolitik beruhende innen- und außenpolitische Strategie würden sie damit aufgeben. Kurz gesagt, im Weltbild der AKP sind Islamisten stets die Benachteiligten und niemals die Aggressoren. (Hüseyin Çiçek, 21.11.2023)