Deutschland und Europa sind in der Digitalwirtschaft stark von den USA und China abhängig - das zeigt eine neue Studie. In den letzten Jahren hat Deutschland im Digitalen nicht aufgeholt. Durch Investitionen in Patente und Forschung könnten wir mehr Eigenständigkeit erreichen.

Die Studie "Auf dem Weg zur digitalen Selbstbestimmung" der Forscher Maximilian Mayer und Yen-Chi Lu von der Uni Bonn zeigt, dass wir im Bereich der Digitalwirtschaft auf extrem viel Unterstützung aus anderen Ländern angewiesen sind.

Ein Beispiel: Halbleiterchips. Die kommen heute vor allem aus China und Taiwan. Für den Ausbau des 5-G-Netzes brauchen wir Netzwerktechnologie aus China. Die großen Internetplattformen wie Google, Facebook und Co. kommen aus den USA.

Deutschland gerät digital ins Hintertreffen

Im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung haben Meyer und Yen-Chi Lu geforscht. Die Arbeit zeigt, dass Deutschland und die anderen EU-Länder im Vergleich zu China, Südkorea und den USA immer weiter ins Hintertreffen geraten.

Die Forscher legen insgesamt offen, wie abhängig verschiedene Länder von IT-Technologien sind, die nicht aus dem eigenen Land oder der Region stammen. Europa schneidet hier besonders schlecht ab.

Um diese Abhängigkeit zu dokumentieren, haben die Forscher einen Index entwickelt, der von 0 bis 1 reicht. 0 bedeutet, dass ein Land ausschließlich digitale Technik einsetzt, die absolut selbstständig im eigenen Land beschafft und produziert werden kann. 1 bedeutet eben das Gegenteil: "Ein Land mit dem Faktor 1 wäre total abhängig von der Technologie anderer Länder", erklärt unsere Netz-Reporterin Martina Schulte.

"Die USA und China können zumindest einen Großteil der digitalen Produkte, die sie brauchen im eigenen Land finden. Sie haben deswegen Werte von rund 0,5 auf der Skala der Forschenden."
Martina Schulte, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin

Die Abhängigkeit kann von Computerchips, Cloudspeichern, sozialen Netzwerken bis hin zu Software für Maschinen und Büros alles betreffen. Interessant ist, dass es weltweit kein Land gibt, das vollständig autark wirtschaften kann. Die USA und China stehen aber laut Studie am besten da.

Dagegen liegen Deutschland und die anderen Länder der EU alle jenseits von 0,75. Das bedeutet, dass ihre Digitalwirtschaft somit sehr verwundbar und abhängig ist. Deutschland erhält den Wert 0,82 – also ziemlich nah am schlechtesten Wert 1, der eine totale digitale Abhängigkeit ausdrückt.

Abhängigkeit im Digitalen hat sich verstärkt

Laut Studie hat sich der deutsche Wert in den vergangenen Jahren nochmals verschlechtert: "Die Autonomielücke zu den USA wächst. Die Forschenden resümieren daher, dass digitale Autonomie in der EU momentan 'kaum mehr als eine Illusion' sei. Und weiter: Die Abhängigkeiten in allen Bereichen seien 'weitaus umfassender und tiefgehender, als meist angenommen'", so Martina Schulte.

Kampf gegen Windmühlen

Um sich aus der digitalen Abhängigkeit von anderen Staaten zu befreien, raten die Autoren Deutschland und der EU, die Finger von digitalen Großprojekten zu lassen - zumindest von solchen, die sehr schnell europäische Alternativen zu US-Produkten schaffen wollen. Etwa das Projekt GaiaX, das eine europäische Cloud-Alternative zu Anbietern wie Amazon und Microsoft schaffen sollte.

Es sei sinnvoller, realistisch in kleinen Schritten die digitale Abhängigkeit zu verringern und sich so von der heutigen "hohen Verwundbarkeit" auf dem Index auf die Marke "geringe Verwundbarkeit" zuzubewegen.

Vorbild Südkorea

Das könnte man zum Beispiel erreichen, indem europäische Autohersteller eine eigene IT-Plattform für autonomes Fahren bauen würde. Dazu sollte Europa mehr in Patente und Forschung investieren – so etwas hat Süd-Korea in den 1980er-Jahren gemacht.

Durch massive Investitionen in IT-Grundlagenforschung wurde die Abhängigkeit im Bereich Halbleitertechnologien systematisch abgebaut. Südkorea steht auf Platz 3, was seine digitale Unabhängigkeit angeht.

Shownotes
Studie zu IT-Technologie
Digitale Autonomie in der EU "kaum mehr als eine Illusion"
vom 04. Mai 2022
Moderator: 
Till Haase
Gesprächspartnerin: 
Martina Schulte, Deutschlandfunk Nova