Politik

Wer schützt Taiwan vor China? "Deutsche U-Boote stehen seit Jahren auf dem Wunschzettel"

Ein taiwanesischer Marinesoldat überwacht den Seeraum vor der Insel: Das Land muss dringend seine Marine ausbauen.

Ein taiwanesischer Marinesoldat überwacht den Seeraum vor der Insel: Das Land muss dringend seine Marine ausbauen.

(Foto: VIA REUTERS)

Den Besuch von Nancy Pelosi in Taiwan nutzt China, um seine militärische Kontrolle in der Region zu festigen - und die Annexion der abtrünnigen Insel vorzubereiten. Im Interview mit ntv.de erklärt China-Experte Maximilian Mayer, warum es dazu nicht einmal eine Invasion braucht, wie die USA diplomatisch versagt haben und was Taiwan tun kann, um die Chinesen so lange wie möglich auf Abstand zu halten.

ntv.de: China hat seine Militärübungen nach rund einer Woche beendet. Ist die Situation damit entschärft?

Maximilian Mayer ist Junior-Professor für Internationale Beziehungen und globale Technologiepolitik an der Uni Bonn.

Maximilian Mayer ist Junior-Professor für Internationale Beziehungen und globale Technologiepolitik an der Uni Bonn.

(Foto: Volker Lannert / Uni Bonn)

Maximilian Mayer: Wir befinden uns in einer ganz neuen Situation. China hat die Möglichkeiten und den Willen gezeigt, durch seine Marine, aber auch die Koordination von Luftwaffe, Marine und Raketenstreitkräften den gesamten Luft- und Seeraum um Taiwan herum dauerhaft als sein Übungsgebiet zu definieren. Militärisch hat sich der Status quo im Westpazifik damit dramatisch verändert. Die letzten Tage zeigen, dass diese Manöver in Zukunft zeitlich über Wochen ausgedehnt werden könnten. Andeutungen von chinesischen Militärexperten weisen auf eine regelmäßige Wiederholung hin. Und der Radius zukünftiger Operationen dürfte sich mit einer ständig wachsenden Flotte, zu der inzwischen drei Flugzeugträger gehören, weiter ausdehnen.

Was hieße das für Taiwan?

Offiziell wird es auch in Zukunft keine Blockade sein, sondern ein Militärmanöver. Denn bei einer Blockade käme fast automatisch das Völkerkriegsrecht zum Tragen. Was jetzt passiert, ist völkerrechtlich dagegen eher unproblematisch. Trotzdem könnte sich Taiwan nun öfter in einer Quasi-Blockade wiederfinden. Das hätte zunächst wirtschaftliche Auswirkungen. China könnte aber ohne Weiteres die Daumenschrauben weiter anziehen. Eine Eskalationsmöglichkeit bestünde darin, eventuelle Waffenlieferungen an Taiwan aus den USA oder Europa auf dem Seeweg zu blockieren.

Welche Folgen hätte das für die taiwanesische Wirtschaft?

Chinas Militärübungen kamen so nahe an die Häfen, dass der Verkehr von Frachtschiffen schon jetzt gestört war. Auch ein Großteil der asiatischen Fluglinien hatte die Flüge über Taiwan umgeleitet. Dauert dieser Autonomieverlust eine Woche, ist das zu verschmerzen. Aber sobald sie länger als zwei Wochen oder gar Monate aufrechterhalten wird, ist etwa die Versorgung mit Öl und Gas, aber auch mit Lebensmitteln gefährdet. Die pragmatische Kernfrage lautet, wie auf die drohende Einschränkung der Autonomie Taiwans reagiert werden soll.

Braucht es also gar keine Invasion, um Taiwan in die Knie zu zwingen?

Ich glaube, dass die chinesische Regierung trotz des aufbrandenden nationalistischen Kriegsgeheuls im chinesischen Internet auf jeden Fall eine Invasion vermeiden möchte. Das wäre das Worst-Case-Szenario, auch für die Volksbefreiungsarmee. Denn eine Invasion birgt nach wie vor große militärische Risiken. Der Ansatz einer flexiblen Blockierung ist hingegen aus chinesischer Sicht schlauer und kostengünstiger. Im neuen Weißpapier zu Taiwan hat sich an der Präferenz einer "friedlichen Wiedervereinigung" nichts geändert. Ob Quasi-Blockaden am Ende der erfolgreichere Weg sein werden, um das Ziel einer Wiedervereinigung zu erreichen, bleibt offen.

Was kann Taiwan gegen solche Blockaden tun?

Durch Taiwan geht gerade ein richtiger Ruck. Es ist zwar spät, aber das Land wacht langsam auf. Das ist vergleichbar mit dem, was 2014 im Zuge der Annexion der Krim in der Ukraine passiert ist. Die ukrainische Regierung hat damals erst so richtig damit begonnen, die Streitkräfte zu modernisieren. Etwas Ähnliches könnten wir jetzt auch in Taiwan erleben. Die Frage ist, ob Taiwan dringend benötigte Waffenlieferungen aus dem Ausland überhaupt noch erhalten kann. Das Land braucht jedenfalls robuste militärische Kapazitäten und eine verbesserte Reaktionsfähigkeit, wenn es dem wachsenden Druck standhalten möchte. Die globale Vernetzung taiwanesischer Chip-Produzenten dürfte hingegen ein stabilisierender Faktor sein, da China hier selbst abhängig ist und die Kosten einer militärischen Konfrontation unmittelbar weltweit bei unbeteiligten Akteuren auftreten würden.

Könnte auch Deutschland helfen?

Wenn es um Taiwans Überleben als Demokratie geht, dann ist Haltung kein Ersatz für ökonomische Koordination und militärische Kapazitäten. Beispielweise muss Taiwan dringend seine Marine ausbauen - insbesondere seine U-Boot-Waffe. Asymmetrische Fähigkeiten würden die Manöver, die das Festland jetzt immer wieder veranstalten könnte, zumindest etwas risikoreicher machen. Im Moment ist die U-Bootflotte Taiwans viel zu klein. Deutsche U-Boote stehen seit vielen Jahren auf dem taiwanesischen Wunschzettel. Würde Deutschland überlegen, ob es U31-Boote an Taiwan liefert, müsste man vorher aber sorgfältig abwägen, was die Konsequenzen insbesondere für die Beziehungen zu China wären.

Warum haben denn die USA noch nicht reagiert?

Es ist offenbar keine Strategie für diese Situation vorbereitet worden. Die Biden-Regierung hat den Besuch von Nancy Pelosi nicht diplomatisch einbetten können. Pelosis überhastete Reise hat Taiwan einen Bärendienst erwiesen. Sie lieferte China einen Vorwand, das zu machen, was jetzt passiert. Wahrscheinlich wäre diese Machtprojektion sowieso irgendwann passiert - vielleicht in einem Jahr oder in vier Jahren. Aber auf die Beschleunigung, die wir jetzt erleben, waren weder die USA noch Taiwan vorbereitet. Auch fehlt es an strategischer Koordination mit den US-Alliierten in der Region, die ganz unterschiedlich auf die Spannungen reagieren. Die zur Schau gestellte Gelassenheit Bidens könnte noch zu einem Afghanistan 2.0 werden - ein diplomatisches Desaster, das die Glaubwürdigkeit der USA als Schutzmacht für andere Demokratien weiter infrage stellt.

Wie bewerten Sie den Besuch von Pelosi?

Die Stippvisite in Taipeh war nicht vom Ende her gedacht. Wer einen solchen offiziellen, hoch-symbolischen Besuch unternimmt, muss im Anbetracht der polarisierten internationalen Situation über Szenarien verfügen, wie man mit der absehbaren und klar kommunizierten Reaktion der chinesischen Seite umgehen möchte. Pelosi hat den US-Präsidenten in die brenzlige Lage versetzt, gleichzeitig Stärke zeigen und eine Bedrohungsspirale verhindern zu müssen. Zumindest auf öffentlichen Kanälen findet sich jedoch nichts von diesem diplomatischen Drahtseilakt. Fast scheint es, also ob die USA den neuen Aktionsradius der chinesischen Streitkräfte erst einmal akzeptieren würden.

Hätte Biden Pelosi aufhalten müssen?

Das konnte er nicht. Als Präsident konnte er nicht der Vertreterin eines unabhängigen Organs des politischen Systems vorschreiben, was sie zu tun oder lassen hat. Pelosi hätte selbst erkennen müssen, dass sie neben Taiwan insbesondere auch den Vereinigten Staaten schadet. Es ist gut möglich, dass China auf so einen Fehler nur gewartet hat. Jedenfalls war man vorbereitet. Ein Manöver von diesem Umfang und in dieser Komplexität kann auch die modernisierte Volksbefreiungsarmee nicht im Hauruckverfahren eingeleitet haben. Die Planungen dazu lagen in der Schublade.

Sind denn Sanktionen denkbar als Reaktion auf die chinesische Blockade?

Das glaube ich nicht. Dafür sind Europäer und Amerikaner viel zu abhängig von chinesischer Technologie und den gegenseitigen Handelsbeziehungen. Strafmaßnahmen würden uns allen sehr stark schaden. Dagegen sind die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland vergleichsweise gering. Außerdem gibt es völkerrechtlich keine Begründung für Wirtschaftssanktionen - in der Tat droht China auch niemand damit. Die internationale Unterstützung dafür wäre noch deutlich geringer als im Falle von Russland.

Wie sollen Deutschland und Europa also reagieren?

Europa befindet sich in einer Zwickmühle. Käme es zu einer militärischen Konfrontation, wären die Auswirkungen auf die globale Wirtschaft fatal. Es würde auch in Europa zu einem starken Wohlstandsverlust kommen. Um dem vorzubeugen, wäre es ratsam, die Außenwirtschaft vorsichtig zu diversifizieren, also stückchenweise die Abhängigkeiten von China abzubauen und umzuschichten. Dieser Prozess ist allerdings voller Unwägbarkeiten. Er würde nicht Monate, sondern eher Jahre oder Dekaden in Anspruch nehmen. Außerdem erscheint es für viele Unternehmen nicht besonders realistisch, verlässlichen und günstigen Ersatz für Produkte, Lieferketten und Rohstoffimporte aus China zu finden. Die deutsche Wirtschaft würde indirekt ohnehin eng mit China verflochten bleiben, wenn nicht der Handel insgesamt mit Ostasien stark verringert werden würde.

Aber auch China kann sich einen Krieg im Moment doch gar nicht leisten.

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Die Führung der Kommunistischen Partei konzentriert sich auf den 20. Parteitag Ende Oktober. Zugleich kämpft China mit wirtschaftlichen und finanziellen Problemen. Deshalb wird Peking versuchen, das militärische Eskalationsrisiko so gering wie möglich zu halten. Schon jetzt ist zu erkennen, dass sich China zurückhält. Es sind zwar Raketen über Taiwan geflogen, aber keine Kampfflugzeuge. Auch in die 12-Seemeilen-Zone um Taiwan sind chinesische Kriegsschiffe bisher nicht eingedrungen. Innenpolitisch ist diese Zurückhaltung nicht unumstritten. In der chinesischen Bevölkerung gibt es sehr viele, die laut nach Krieg rufen und denen die Reaktion auf den Besuch von Pelosi zu schwach ist. Das Manöver sieht für sie aus wie ein Papiertiger.

Mit Maximilian Mayer sprach Judith Görs

Quelle: ntv.de

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