Deutschlands Unternehmen unzufrieden mit eigener Digital-Abhängigkeit​

Deutsche Unternehmen sind unzufrieden mit dem Stand der digitalen Abhängigkeit. Auch andere Beobachter sehen noch stärker werdende Probleme.

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Silizium-Wafer mit aufgedruckten Mikroprozessoren.

(Bild: asharkyu/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Falk Steiner
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Seit Jahren wird über die Frage diskutiert, ob die Bundesrepublik in der Digitalisierung zu stark von Dritten abhängig ist – eine aktuelle Umfrage des IT-Verbands Bitkom unter deutschen Unternehmen aller Branchen zufolge ist das Problem seit der ersten Umfrage dazu 2021 noch einmal gewachsen. Unter digitaler Souveränität versteht der Verband die selbstbestimmte Entscheidung über Abhängigkeiten von digitalen Schlüsseltechnologien. Und 44 Prozent der 604 befragten Unternehmen erachten die Anstrengungen der Bundesregierung zur Stärkung der digitalen Souveränität für unzureichend, weitere 31 Prozent vergeben die Schulnote Mangelhaft – 2 Prozent vergaben ein "Gut".

Die Abhängigkeiten, die die Befragten dabei benannten, werden vor allem vom Blick auf zwei Staaten dominiert. Spitzenreiter sind die USA mit 51 Prozent häufiger Abhängigkeit und 32 Prozent in Einzelfällen. Auf dem zweiten Platz steht das EU-Ausland: 50 Prozent sind hier nach eigener Einschätzung häufig abhängig, 34 Prozent in Einzelfällen. Fast gleichauf auf dem dritten Platz folgt die Volksrepublik China. Hier sind ebenfalls 50 Prozent häufiger und 24 Prozent in Einzelfällen abhängig, schätzen die Unternehmen ein. Auf Platz 4 findet sich mit Taiwan ein kleiner Riese: Das Land mit gerade einmal knapp 24 Millionen Einwohnern spielt insbesondere im Bereich der Mikroelektronik eine überproportional wichtige Rolle. Auch die Ukraine ist weiterhin relevant, insbesondere im Bereich der Softwareindustrie – Russland ist inzwischen laut den Unternehmen komplett irrelevant und hat keine Nennungen mehr erhalten.

Eine der großen Unwägbarkeiten für die Unternehmen sind die politischen Rahmenbedingungen. Vor allem die chinesische Regierung und das dortige Rechtssystem haben bei deutschen Unternehmen der Umfrage zufolge keinen guten Ruf. Dazu kommen wirtschaftliche Probleme. Die Konjunktur in China laufe nicht gut, sagt Wintergerst, und die Einstellung der deutschen Unternehmen habe sich in den vergangenen zehn Jahren massiv gewandelt – die Abhängigkeit von China bereitet laut den Bitkom-Zahlen 69 Prozent der Unternehmen Sorgen. Doch mit den anstehenden Präsidentschaftswahlen gibt es Zweifel gegenüber den USA. Donald Trump hatte während seiner Präsidentschaft einen Handelskrieg mit China bei bestimmten IT-Produkten vom Zaun gebrochen. 38 Prozent der Unternehmen sehen die US-Abhängigkeit vor diesem Hintergrund kritisch.

Die Umfrage, bei der die Unternehmen nach ihrer Perspektive gefragt wurden, zeigt allerdings auch, dass die Unternehmen selbst Teil des Problems sind. 62 Prozent der befragten Firmen gaben an, dass sie von Digitalimporten stark abhängig seien, weitere 32 Prozent schätzten ihre Lage so ein, dass sie "eher abhängig" wären. In einigen Bereichen sind die Unternehmen so stark abhängig, dass ihr wirtschaftliches Überleben bei Ausbleiben nur wenige Monate lang gesichert wäre. Für Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst ist das ein Alarmzeichen: Sowohl die Politik als auch die Unternehmen müssten gegensteuern.

Hauptfaktor der derzeitigen Abhängigkeit bleibt der Befragung über alle Branchen hinweg zufolge die Hardware: Bei Halbleitern sehen 75 Prozent der Unternehmen starke oder zumindest eher Abhängigkeiten, bei Künstlicher Intelligenz 74 Prozent. Bei IT- und Kommunikationshardware konstatieren zwei Drittel eine Abhängigkeit und bei Komponenten für 5G 64 Prozent. Auch bei Big Data und Analytics, Quantencomputern, dem Internet of Things und Cloud Computing sehen mehr als die Hälfte der Unternehmen Abhängigkeiten. Etwas besser sieht es bei IT-Sicherheits-Technologien (40 Prozent), bei Sensorik (39 Prozent) und bei der Robotik (36 Prozent) aus.

Die starke Halbleiterabhängigkeit wird von der Politik seit Ausbruch der Corona-Pandemie zu adressieren versucht. Doch die Milliardenhilfen für das Aufbauen eines stärkeren Halbleiterökosystems in Deutschland sind hochumstritten. Insbesondere seitdem das Bundesverfassungsgericht im Herbst die Haushaltspraxis der Bundesregierung bemängelte und der Klima- und Transformationsfonds deutlich gekürzt werden musste, stehen vor allem die Subventionen daraus für Intels Chipwerk in Magdeburg immer wieder in der Kritik.

Der Bonner Professor für globale Technologiepolitik Maximilian Mayer sieht im Gespräch mit heise online hier gleich zwei Fehler: Die Bundesregierung subventioniere hier bereits etablierte Technologie, statt langfristige Strategien zu entwickeln. "Es geht nicht um Cutting-Edge-Chips", sagt Mayer. "Die Fabriken dafür stehen in Taiwan und manchmal in Japan, selbst die Südkoreaner sind leicht hinterher." Es sei ein Irrglaube, dass man mit vergleichsweise geringen Subventionen und Investitionen hier zur Weltspitze aufschließen könne. Um die Dimension zu verdeutlichen, verweist Mayer auf Südkorea: Das Land hat vor wenigen Tagen angekündigt, dass Regierung und die Chaebols genannten Industriekonglomerate 622 Milliarden Won (425 Milliarden Euro) bis 2047 in Halbleiter investieren wollen. Die EU komme insgesamt vielleicht auf 50 Milliarden Euro, rechnet Mayer vor.

Auch jenseits des Halbleitermarktes würde Deutschland ebenfalls langsam den Anschluss verlieren, analysiert Mayer, der am CASSIS-Institut unter anderem den Digitalen Abhängigkeits-Index verantwortet. Insbesondere bei den Patentanmeldungen im Digitalbereich verliere das Land stetig an Boden – weshalb Deutschland fast schon automatisch immer abhängiger werde. Die Anstrengungen müssten fokussiert werden, fordert der Wissenschaftler. Das würde aber gezielte Industriepolitik bedeuten – und die stoße in Deutschland traditionell auf Skepsis.

Auch Bitkom-Chef Ralf Wintergerst sieht es als notwendig, Schlüsseltechnologien wie KI, Quanten-Computing und digitale Sicherheit zu stärken. Auch regulatorisch müsste Europa anders vorgehen: Die Gesetzgebung sei nahezu technologiefeindlich und mit dem Fokus auf den Schutz des Einzelnen zu kompliziert. Dazu komme: "Der Binnenmarkt in der EU existiert ja gar nicht: Wir haben im Kern 27 Einzelmärkte." Damit würde die EU, meint Wintergerst, "niemals solche skalierenden Lösungen hinbekommen, wie man sie in den USA oder in China findet. Damit kommen wir nie dahin, Cloudinfrastrukturen zu bauen, wie es die Big-Tech-Firmen schaffen."

Auch der politische Wunsch nach einem stärkeren De-Risking, also der Risikovermeidung durch alternative Produktionsstandorte oder Lieferantendiversifizierung, stößt bei Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst nicht auf große Gegenliebe. Das sei zwar im Prinzip richtig, und die Unternehmen hätten in den vergangenen Jahren viel dazugelernt. Aber die kurzfristigen Möglichkeiten seien beschränkt: "Das braucht eine Dekade, um bestimmte Lieferstrukturen vollständig zu ändern", rechnet er vor, und Kunden seien nicht bereit, allein für die Verlagerung einer bestehenden Produktion mehr zu zahlen.

(mki)