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Europawahlen in Frankreich: Wie der Rassemblement National die Europawahl dominiert und Macron unter Druck setzt
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Der Europawahlkampf in Frankreich ist in vollem Gange - rechtsextreme Partei Rassemblement National scheint unaufhaltsam.
Hans Lucas/AFP via Getty Images Der Europawahlkampf in Frankreich ist in vollem Gange - rechtsextreme Partei Rassemblement National scheint unaufhaltsam.
  • FOCUS-online-Gastautor
Montag, 06.05.2024, 12:32

Der Europawahlkampf in Frankreich ist in vollem Gange und die rechtsextreme Partei Rassemblement National scheint unaufhaltsam. Landry Charrier, Experte für die deutsch-französische Beziehungen, wirft einen kritischen Blick darauf und nimmt gleichzeitig Macrons Sorbonne-Rede in den Blick.

Wo steht Frankreich knapp einen Monat vor den Europawahlen?

Wieder einmal zeigt sich, dass das Interesse der Franzosen an der Europawahl äußerst gering ist. Jüngste Umfragen geben an, dass die Wahlbeteiligung diesmal bei ca. 45 Prozent liegen könnte: Das sind 5 Prozent weniger als 2019. Die Franzosen sorgen sich an erster Stelle um ihren Geldbeutel und die Zukunft des Sozialstaats; europäische bzw. internationale Themen spielen bei den allermeisten eine untergeordnete Rolle.

Das bedeutet längst nicht, dass sie keine Empathie mit der Ukraine, Israel oder der Bevölkerung in Gaza haben. Ihre Aufmerksamkeit liegt aber eindeutig auf ihren unmittelbaren Problemen, und diese sind zu Hause. Es bleibt den Medien nichts Anderes übrig, als diese Themen zu bedienen, wenn sie sich im Wettrennen „um das eigene Produkt“ behaupten wollen. Dementsprechend klein ist der Platz, den sie der europäischen Politik widmen können. Das ist in Deutschland anders.

Über den Experten Landry Charrier

Landry Charrier
Landry Charrier

Landry Charrier ist Mitglied der CNRS-Forschungseinheit SIRICE (Sorbonne, Paris), Associate Fellow am Global Governance Institute (Brüssel) sowie am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn). Seine Schwerpunkte sind die deutsch-französischen Beziehungen im globalen Kontext sowie Frankreichs Außen- und Sicherheitspolitik. Er ist Ko-Produzent des Frankreich-Podcasts Franko-viel und seit März 2023 Redaktionsleiter der deutsch-französischen Zeitschrift dokdoc.

Der Europawahlkampf hat in den vergangenen Wochen an Dynamik gewonnen, vor allem unter dem Druck des Rassemblement National. Was bedeutet das?

Der Rassemblement National führt einen rein nationalen Wahlkampf mit klaren Ansagen: Sollte die Partei am 9. Juni als Sieger aus der Wahl hervorgehen, werde man gleich am selben Tag den Staatspräsidenten dazu auffordern, die Assemblée nationale aufzulösen. Auf die Spitze getrieben: Es rächt sich jetzt, dass der Vorschlag für transnationale Listen, den Emmanuel Macron in seiner ersten Sorbonne-Rede 2017 gemacht hatte, im Keim erstickt wurde – nicht zuletzt, weil die CDU und mit ihr die EVP-Fraktion sie nicht haben wollten.

Damals ging es aber ausschließlich um die 73 Plätze, die infolge des Brexits im Europäische Parlament freigeworden waren. Der Vorwurf, Macron wolle mit diesem Vorschlag das Parlament schwächen, war in diesem Kontext nur eine Taktik, um die Plätze für sich zu beanspruchen und so die eigene Machtbasis zu erweitern. Der Präsident hat in seiner zweiten Sorbonne-Rede am 25. April daran erinnert. Nun stehen wir vor den Scherben dieser Politik. Die ganz großen Themen bleiben außen vor: Wer spricht heute noch von den institutionellen Reformen der EU? Dabei hat es im Vorfeld des Wahlkampfes nicht an Diskussionen zu diesem Thema gefehlt.

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Dass der Rassemblement National die Europawahl haushoch gewinnt, gilt als ausgemacht. Wie ist das zu erklären?

Der Rassemblement National ist sehr geschickt. Neben den Themen, die er sehr früh platzieren und somit für sich vereinnahmen konnte (Zukunft der Landwirtschaft, Migration), setzt er vor allem auf eine Strategie der direkten Kommunikation, die den Eindruck vermittelt, er sei omnipräsent. Das stimmt auch zum Teil: Mit seinem prominenten „Doppelticket“ – Le Pen, Bardella – kann der Rassemblement National doppelt so oft auftreten wie die anderen Parteien.

Die Medien – nicht zuletzt der Journal du dimanche und BFMTV – und sozialen Netzwerke verstärken dann das Phänomen. Bardella profitiert zwar von der in einigen Kreisen stark ausgeprägten Abneigung gegen den Präsidenten. Tatsache ist aber auch: Er hat im Zuge des Wahlkampfes an Statur gewonnen und wirkt nun staatstragend, als könnte er auf Augenhöhe mit dem Präsidenten sprechen. Sein Auftritt, wenige Stunden nach Macrons Sorbonne-Rede, steht beispielhaft dafür.  

Apropos 25. April: Was kann man zur Vorstellung des Europawahlprogramms von Jordan Bardellas Partei festhalten? 

Für Bardella ist klar: Die EU ist keine Kompromissmaschine, sondern ein Instrument der Domination. Und hier ist die Botschaft unmissverständlich: Nachdem Deutschland dem Rest Europas seine Politik aufzwingen konnte, sei nun Frankreich an der Reihe. Es soll ein „französisches Europa“ entstehen, das auf der Grundlage von Projekten à la carte dem Kontinent „einen neuen Weg zur Großmacht“ – im französischen Original „puissance“ – ebnen soll.

Wenige Tage später legte Marine Le Pen eine Schippe darauf, ohne allerdings konkreter zu werden: „Frankreich blickt und wartet auf uns“. Solche Forderungen sind nicht neu. Schon Ende der 1970er Jahre hatte Georges Marchais, der Vorsitzende der kommunistischen Partei, eine lautstarke Kampagne „gegen ein deutsches Europa“ angezettelt. In der Griechenlandkrise hatte dann Jean-Luc Mélenchon an diese „Tradition“ angeknüpft, und in einem Pamphlet mit dem Titel „Le Hareng de Bismarck. Das deutsche Gift“ Deutschlands Europapolitik aufs Schärfste kritisiert. Le Pen und Bardella wissen: Solche Kritiken fallen auf fruchtbaren Boden und können auch helfen, Stimmen aus dem linken Lager zu holen.  

Jüngste Umfragen sehen Renaissance, die Partei von Staatspräsident Macron, bei 17 Prozent, 15 Punkte hinter dem Rassemblement National? Warum? 

Es hat nicht nur mit der Abneigung gegen Macron – als Person – zu tun, sondern ist auch gegen den Amtsinhaber gerichtet. Das Phänomen erinnert in vielerlei Hinsicht an das Ende der Ära Chirac und der Amtszeit von Nicolas Sarkozy und Francois Hollande. Dass Renaissance in den Umfragen so schlecht abschneidet, liegt aber auch an der schwachen Leistung von Valéry Hayer, der „Spitzenkandidatin“ der Partei. Die Entscheidung zu ihren Gunsten fiel mitten in den Bauernprotesten. Als Kind eines Bauern schien Hayer geeignet, dem Rassemblement National, der das Thema zu seinen Prioritäten erklärt hatte, die Stirn zu bieten.

Das Kalkül ging aber nicht auf: Hayer vermochte es nicht, sich Gehör zu verschaffen. Dass der ehemalige Außenminister Jean-Yves Le Drian (der zu Beginn des Jahres als Spitzenkandidat in der Diskussion stand) ihr nun zur Hilfe eilen soll, dürfte wenig an der Situation ändern. Die Umfragewerte sind schlecht und die Perspektiven nicht gut. Die Dynamik liegt eindeutig beim Rassemblement National. 

Wie hat die Opposition auf die zweite Sorbonne-Rede von Emmanuel Macron reagiert? 

Äußerst verhalten, wie sich am Beispiel der von Macron wieder einmal geforderten Debatte über die Rolle von Atomwaffen in Europa zeigen lässt. Die Opposition, von links nach rechts, nahm ihn sofort unter Beschuss: Macron sei zu einer Gefahr für Europa geworden, er wolle „das französische Volk (…) von allem, was es schützt, (…) enteignen“ (Le Pen) und werde „die strategische Autonomie Frankreichs liquidieren“ (La France insoumise).

Ähnlich die Konservativen, dass Macron mitten im Europawahlkampf in die Offensive geht, zeigt: Er ist weiterhin bereit, für seine Überzeugen zu kämpfen, koste es, was es wolle. Das unterscheidet ihn stark von Bundeskanzler Scholz, der alles unterlässt, was den Wählern missfallen könnte.  

„Europa kann sterben“, sagte Macron vor sieben Jahren. was ist zu erwarten? 

Wenig. „Deine Rede enthält gute Impulse, wie uns das gelingen kann. Frankreich und Deutschland wollen gemeinsam, dass Europa stark bleibt“, schrieb Olaf Scholz am selben Tag auf X. Diese Reaktion erinnert an den Satz, den der Bundeskanzler sprach, als Emmanuel Macron die Gründung der Europäischen Politischen Gemeinschaft (Mai 2022) vorschlug: Die Idee finde er „interessant“, sagte damals Scholz. Das war der Todesstoß. Beim Gründungstreffen in Prag (6. Oktober 2022) stellte er sich dann demonstrativ in die dritte Reihe.

Die Reaktion von Scholz auf Macrons Rede zeigt auch: Deutschland ist im Hier und Jetzt gefangen. Frankreich denkt seinerseits in großen Zeitkategorien. „La force qui va“, schrieb einmal der französische Sicherheitsexperte Francois Heisbourg, um die strategische Kultur Frankreichs zu charakterisieren. In diesen vier Worten steckt viel, vielleicht alles, was Deutschland und Frankreich voneinander trennt.

Macron macht sicherlich nicht immer alles richtig; Er stellt aber oft die richtigen Fragen. Höchste Zeit, dass sich Deutschland darauf einlässt!

Häufig gestellte Fragen zu diesem Thema

Die Divergenzen bleiben. Annalena Baerbock und Stéphane Séjourné haben sich zwar in den vergangenen Tagen um Schadensbegrenzung bemüht, doch im Kern hat sich nichts am deutsch-französischen Dissens geändert. Macron hat es in Prag (5. März) noch einmal sehr deutlich gemacht: „Wir stehen gewiss vor ...

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Landry Charrier

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Frankreich denkt strategisch, in großen Zeitkategorien. Zusammen mit de Gaulle ist Macron sicherlich der Präsident, der diese Tradition am besten verkörpert. Im Gegensatz zum Bundeskanzler, der dem Primat der Innenpolitik unterliegt, braucht er zudem keine Rücksicht auf das Parlament zu nehmen, zumindest in der ...

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Experte für deutsch-französischen Beziehungen sowie Frankreichs Außen- und Sicherheitspolitik

Dieser Text stammt von einem Expert aus dem FOCUS online EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Themenbereich und sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.

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