Gastkommentar

Erdöl aus Iran statt aus Russland? – Die energiepolitische Hinwendung Europas zum international geächteten Mullah-Staat dürfte Wunschdenken bleiben

Unter dem Eindruck der schockierenden Bilder aus der Ukraine fordern immer mehr Stimmen, Europa ganz von Erdöl und Erdgas aus Russland abzukoppeln. Als valable Alternative böte sich Iran an, wenn es denn den Streit um dessen Atomprogramm nicht gäbe.

Shushanik Minasyan
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Die Erdgas-Raffinerie in Bandar Abbas.

Die Erdgas-Raffinerie in Bandar Abbas.

Ali Mohammadi / Bloomberg

Aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der damit verbundenen geopolitischen Turbulenzen ist die Frage der Energieversorgung auf der Tagesordnung der EU ganz nach oben gerückt. Das amerikanische Ölembargo gegenüber Russland und die eigene starke Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen lassen immer mehr Stimmen laut werden, die eine Diversifizierung der Importe von fossiler Energie fordern. Die stark gestiegenen Preise tun das Ihre, um die Debatte zu befeuern.

Dabei erfährt plötzlich Iran eine neue Aufmerksamkeit. Angesichts seiner beachtlichen Reserven an Erdöl und Erdgas besteht kein Zweifel, dass sich das Land auf langfristige Sicht als Alternative zu den russischen Rohstofflieferungen für die nachfragestarken westlichen Absatzmärkte etablieren könnte. Die energiepolitische Kooperation mit Teheran präsentiert sich auch darum als vorteilhaft, weil die iranischen fossilen Rohstoffe ohne weiteren grossen finanziellen Aufwand durch die Türkei nach Europa geliefert werden könnten.

Jenseits der Atomverhandlungen

Der Umsetzung dieser Idee indes stehen komplexe Hindernisse im Weg. Im Zentrum steht die Frage, welche Lösungen für die Einhegung der militärischen iranischen Atom-Ambitionen gefunden werden können. Ein westlicher Kurswechsel in dieser Frage stände aufgrund der anhaltenden starken Differenzen mit Teheran unter grossem politischem Rechtfertigungszwang.

Erste Anzeichen, dass Russland eine neue europäisch-iranische Kooperation verhindern will, sind bereits erkennbar.

Entscheidend ist hierbei die Kooperationsbereitschaft der iranischen politischen Elite. Bereits im Zuge des russisch-georgischen Krieges von 2008, der Zweifel an der Sicherheit der Transits der im kaspischen Raum gewonnenen Energie durch Georgien aufkommen liess, aber auch nach dem ukrainisch-russischen Erdgasstreit im Winter 2008/09 schien die Einbindung Irans in den europäischen Energiemarkt wünschenswert und für kurze Zeit möglich zu sein.

Auf dem Energiegipfel «Erdgas für Europa: Sicherheit und Partnerschaft» vom 24. und 25. April 2009, der auf Anregung des damaligen bulgarischen Staatspräsidenten Georgi Parvanov abgehalten wurde, schloss der US-Sonderbeauftragte Richard Morningstar die Öffnung des iranischen Energiesektors für die westlichen Verbraucher nicht aus. Diese Entwicklung führte jedoch nicht zu einer längerfristigen energiepolitischen Kooperation, weil sich die damalige iranische Regierung in der Nuklearfrage unnachgiebig zeigte.

Der russische Faktor darf hier ebenfalls nicht unterschätzt werden. Moskau und Teheran verbindet eine strategische Partnerschaft, die aufgrund der konvergierenden Interessen bezüglich der Präsenz der Nato in der Schwarzmeerregion als immer enger werdend dargestellt wird. Es bestehen indes latente Spannungen zwischen den beiden Staaten.

In Moskau ist man sich der Tatsache bewusst, dass Iran durchaus in der Lage ist, sich zu einem ernsthaften energiepolitischen Rivalen zu entwickeln. Die Debatte um die Lockerung der westlichen Sanktionen dürfte im Kreml daher mit Besorgnis verfolgt werden. Eine energiepolitische Kooperation zwischen Teheran und dem Westen würde für Russland einen nachhaltigen Einflussverlust nicht nur auf dem europäischen Energiemarkt, sondern in dem gesamten kaspischen Raum bedeuten.

Erste Anzeichen, dass diese Kooperation verhindert werden soll, sind bereits erkennbar. Die Intensivierung der Beziehungen zwischen Moskau und Baku, die kurz vor dem Ukraine-Krieg vertraglich festgehalten wurde, lässt darauf schliessen, dass Russland versuchen könnte, die türkische Transportroute für Iran zu blockieren. 2020 hat das aserbaidschanische staatliche Energieunternehmen Socar erweiterte Rechte über die südkaukasische Erdgaspipeline bekommen. Es ist nicht auszuschliessen, dass Baku erheblicher Einflussnahme aus Moskau ausgesetzt wird.

Bakus eingeschränkter Spielraum

Unter den gegebenen sicherheitspolitischen Umständen wird Baku den russischen Forderungen kaum standhalten können. Seit den geopolitischen Veränderungen Anfang der neunziger Jahre arbeitete Aserbaidschan zwar stets darauf hin, Russland aus den regionalen energiepolitischen Projekten herauszuhalten. Dank eigenen Energieressourcen und mithilfe des türkischen Partners war Baku mit dieser Strategie sehr erfolgreich. Mit der Stationierung seiner Friedenstruppen in Nagorni Karabach nach dem 44-tägigen Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien schuf Moskau allerdings 2020 eine neue Ausgangslage im Südkaukasus. Die russische Militärpräsenz wird Bakus Entscheidungsautonomie in energiepolitischen Fragen künftig erkennbar einschränken.

Insgesamt bleibt die energiepolitische Hinwendung Europas zu Iran derzeit Wunschdenken. Möchte die EU die Realisierungschancen einer neuen Kooperation verbessern, wäre es entscheidend, die derzeitige amerikanische Entspannungsinitiative gegenüber Teheran mit diplomatischen Mitteln zu unterstützen. Wichtig wäre zudem, dass die EU zu einer starken gemeinsamen Haltung findet, um zu verhindern, dass einmal mehr nationalstaatliche egoistische Interessen gegenüber dem Gemeinwohl im Vordergrund stehen.

Shushanik Minasyan ist Politikwissenschafterin an der Universität Bonn mit den Forschungsschwerpunkten Südkaukasus, kaspischer Raum sowie europäische Aussen- und Sicherheitspolitik. Derzeit lehrt sie an der Johns-Hopkins-Universität in Washington.

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