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Gastbeitrag zum Ukraine-Krieg: Ein Monat Krieg: Welche Lehren wir jetzt aus Putins Invasion ziehen müssen
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Können Psychologen den Machthaber Putin zum Einlenken bewegen?
Mikhail Klimentyev/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa Können Psychologen den Machthaber Putin zum Einlenken bewegen?
  • FOCUS-online-Gastautor

Vor einem Monat überfiel Putin die Ukraine. Ein Ende dieses mörderischen Krieges ist nicht in Sicht. Trotz der inzwischen schon ungezählten Verhandlungsrunden sieht nichts nach einem Durchbruch aus. Und wahrscheinlich kann es den auf absehbare Zeit auch nicht geben. Denn das hängt mit den Moskauer Kriegszielen zusammen. Aber was wissen wir eigentlich sicher, und was ist eher Vermutung?

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Vermutungen haben viele Experten diverser Fakultäten, Denkfabriken und Disziplinen (einschließlich des Verfassers) vor dem 24. Februar gehabt und geäußert. Sie gingen zumeist davon aus, dass Putin irgendeinen Preis, einen „return of invest“ für sein großes Manöver einer noch so noch nie dagewesenen Drohkulisse einstreichen wollte.

Die Übernahme des Donbass per Dekret, die „Heimholung“ in das russische Reich des Wladimir Putins, wirkungsgleich mit der Übernahme der Krim 2014, war das Mindestmaß des Erwarteten gewesen, gefolgt vielleicht von einem militärischen Herausdrängen der ukrainischen Streitkräfte aus den bis dato noch unbesetzten Teilen des Donbass.

Putins leise Vorbereitung auf den Angriff

Stattdessen ist zur Überraschung (fast) aller am 24. Februar 2022 von Putin eine Zeitenwende in Europa und der Welt eingeleitet worden, die möglicherweise in ihren Auswirkungen jener gleichkommen kann, die am 1. September 1939 mit Hitlers (und Stalins) Überfall auf Polen begann. Ein Teil des Hauses Europa steht in hell lodernden Flammen, der Großkrieg ist auf den Kontinent zurückgekehrt, und selbst die schrecklichen Ereignisse in Ex-Jugoslawien in den 1990er Jahren nehmen sich im Vergleich dazu wie ein beherrschbares Geplänkel aus.

Zur Person: Joachim Weber

Dr. Joachim Weber ist Senior Fellow am strategischen Thinktank CASSIS der Universität Bonn und beschäftigt sich mit Fragen strategischer Vorausschau. Er ist Russland- und Arktisexperte, studierter Osteuropahistoriker und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit sicherheitspolitischen Fragestellungen. Jüngste Veröffentlichungen umfassen zwei Bücher zu den geopolitischen Entwicklungen in der Arktis.

Was also trieb Putin an, diesen unerwarteten, diesen schlimmsten aller denkbaren Wege zur massiven militärischen Konfrontation beschritten zu haben? Die Frage ist schon deswegen nicht leicht zu beantworten, weil wir den russischen Präsidenten weder zur forensischen Befragung oder psychiatrischen Begutachtung einbestellen, noch in die russischen Regierungsdokumente Einsicht nehmen können, in denen das Handeln der Regierung, vom Befehl des Präsidenten bis hin zu den einzelnen Weisungen an die Streitkräfte, niedergelegt sein dürften.

Klar ist schon jetzt: Dieser Krieg wurde lange vorbereitet, und im Nachhinein sieht man naturgemäß schärfer als vor dem Ereignis, was sich im Kreml zusammenbraute. Aller Wahrscheinlichkeit nach muss der (vorläufige?) Entschluss zum Krieg von Putin spätestens um den Jahreswechsel 2020/2021 gefällt worden sein. Seitdem also hätte er ein riesiges „Maskirowska“-Mänöver veranstaltet, mit dem er alle Welt bis hinein in seinen Führungszirkel über seine wahren Absichten getäuscht hat. Denn es sieht nach manchen zugänglich gewordenen Informationen so aus, dass nur der allerengste Zirkel, wohl kaum ein halbes Dutzend Menschen, von dem Entschluss zum Großkrieg gewusst haben dürften, möglicherweise nicht einmal der Außenminister Lawrow.

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Die Anzeichen waren zwar da, doch sein Täuschungsversuch war erfolgreich

Die Vorbereitungsschritte zum Krieg wurden konsequent gesetzt: Ab dem März 2021 begann der Aufmarsch russischer Truppen entlang der ukrainischen Grenzen. Im Sommer 2021 wurden die Gasspeicher in Westeuropa, vor allem im zu über 50% von russischem Gas abhängigen Deutschland, nicht wieder auf das normale Maß für den kommenden Winter aufgefüllt.

Mit der Opec organisierte Putin eine weitere, künstliche Verknappung des Angebotes an Erdöl, was den Preis nach oben trieb und die russische Kriegskasse füllte. Und in immer neuen diplomatischen Manövern wurden die weltweiten Gesprächspartner auf allen Ebenen bis zum letzten Tag systematisch belogen und getäuscht mit Beteuerungen guter Absichten und gleichzeitig immer neuen, unerfüllbareren Forderungen wie dem Rückzug von Nato und USA aus Europa. Und es wird wenig besser dadurch, dass viele von Putins Vertretern selber nicht gewusst oder geahnt haben durften, wie weit ihr Anführer bereit sein würde zu gehen. Der Entschluss zum Krieg also lange da, die Mittel erzeugt, alle anderen getäuscht, aber zu welchem Ziel?

Die Antwort ist ernüchternd: Weil das, was Putin will - die ganze Ukraine unter seiner Kontrolle zu bringen-, von ihm nicht verheimlicht wurde. Taktisch und operativ hat er jüngst alle Welt geschickt getäuscht. Strategisch betrachtet und über gut zwei Jahrzehnte analysiert, ist Putins Regierungszeit ein einziges konsequentes Programm, von ersten Tag an, Russland wieder zu einer geachteten, starken und vor allem gefürchteten Großmacht zu machen, der man nicht widerstehen dürfe. Und wenn man das doch tut, dann hilft in Putins Weltbild eben nur die nackte Gewalt, und auch zu dieser als Mittel der Politik hat er sich mehrfach bekannt.

In Vorbereitung auf den Krieg baut Putin einen autoritären Staat auf

Angekündigt hat er es immer, auch gegenüber Kiew, als er vor einigen Monaten in einem präsidialem Geschichtspamphlet der Ukraine jedes Existenzrecht abstritt. Dieses Vorgehen zieht sich „lupenrein“ durch das Handeln dieses Mannes, der kaum drei Monate als Premier im Amt, schon den ersten seiner Kriege, den zweiten Tschetschenienkrieg, zur endgültigen Unterwerfung dieses unbotmäßigen Volkes vom Zaun brach und jetzt seine Gewaltphantasien mit dem Ukrainekrieg krönt.

Und diesem Vorgehen entspricht auch sein innenpolitisches Handeln, indem er Russland von einem Land mit kleinen, unbeholfenen Demokratieversuchen schrittweise in einen rigiden Polizeistaat extrem autoritären Typus umbaute, der inzwischen den Vergleich mit der Sowjetzeiten nicht mehr zu scheuen braucht. Die militärischen Machtmittel mit immer neuen Kategorien von Nuklear- und Raketenwaffen, wurden systematisch ausgebaut, um unter diesem Nuklearschirm offensiv Gewalt gegen jedes Land ausüben zu können, das sich dem „Sammeln der russischen Erde“ nicht unterwirft.

Es ist schon viele Jahre her, dass Putin uns wissen ließ, dass für ihn der Untergang der Sowjetunion die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts gewesen sei. Wir waren gewarnt. Dabei war der Untergang der Sowjetunion in Wirklichkeit im Kern nichts anderes als die vorläufige Vollendung des Projekts einer europäischen Freiheitsgeschichte, deren westlicher Teil 1945 mit der Niederwerfung des Nazi-Reiches begonnen hatte. Und der seine - Jahrzehnte verspätete - folgerichtige Fortsetzung dann 1991 mit dem Zusammenbruch des zweiten totalitären Machtstaates im östlichen Europa fand. Erst damit wurde doch die 1945 ausgerufene Befreiung vollendet, verschwand auch die Sowjetunion auf dem „Kehrichthaufen der Geschichte“. Putin, der als KGB-Agent sozialisierte Sowjetbürger, hat dieses Trauma nie überwunden.

Hoffen bis zum letzten Moment - doch dann ist es womöglich schon zu spät

Warum, so ist immer wieder erneut zu fragen, will man den Politkern nicht glauben, was sie ankündigen? Auch Hitler hatte den Zug nach Osten in „Mein Kampf“ doch öffentlich angekündigt.

Diese Einsicht muss und sollte diejenigen erschrecken, die nach einem Monat brutalen Vernichtungskriegs gegen die Ukraine schon jetzt wieder in den bundesrepublikanischen Trott von Wegsehen und Wegleugnen der Realitäten einschwenken wollen. Man hört bereits jetzt Stimmen wie, man dürfe doch jetzt keine neuen „Rüstungswettläufe“ beginnen, das viele Geld. Scholz’ 100 Mrd. Nothilfe für die herabgewirtschaftete Bundeswehr solle doch lieber gegen den Klimawandel eingesetzt werden und man dürfe vor allem keinen neuen Kalten Krieg entstehen lassen. Nicht jeder scheint die Zeitenwende auch im Kopf schon vollzogen zu haben, obgleich die Schüsse an unserem Gartenzaun wirklich nicht noch lauter dröhnen könnten.

Was heißt das für die Aussichten eines Friedens in der Ukraine? Wenig Verheißendes. Moskau verhandelt derzeit nur zum Schein. Putin will keine selbstbestimmte Ukraine an seinen Grenzen dulden, in der bürgerliche Freiheitsrechte und Meinungsfreiheit (!) gelten. Für ihn ist, in sowjetnostalgischer wie großrussisch aufgehübschter Variante entscheidend, dass die Staatsführung allein entscheidet, die Bürger Gehorsam leisten und dieser Staat geachtet und gefürchtet da steht. Wer diesen nicht achtet oder fürchtet, dem wird mit brutaler Gewalt das Fürchten gelehrt. Dem können wir nicht stattgeben.

Denken wir die Dinge vom Ende her: Hat Putin mit der Unterwerfung der Ukraine Erfolg, dann stehen russische Truppen wieder direkt am Rande Mitteleuropas, unmittelbar an der polnischen Grenze. Dann ist das Baltikum umzingelt, zwischen Putins Ukraine, seinem zusätzlichem Aufmarschraum, dem Belarus von Lukaschenko, und dem nördlichen Ostpreußen.

Putin verfolgt ein Ziel - bis er es erreicht, ist der Gewalt kein Ende gesetzt

Denn diese russische Militärkolonie, die Kaliningradskaja Oblast um Königsberg, der Fluch der bösen Tat von 1945, bedroht den heutigen Westen von innen heraus. Was ist, wenn Putins Appetit ungestillt ist? Ist dann in einigen Jahren das Baltikum an der Reihe? Wird es im Handstreich besetzt, um mit neuen Nukleardrohungen die erst Monate nach einer schnellen Besetzung möglich werdende Rückeroberung durch die Nato abzuschrecken?

Die Ukraine darf nicht fallen. Um ihrer selbst Willen nicht. Aber auch nicht wegen der unabsehbaren Konsequenzen für den ganzen Kontinent. Kiew bietet inzwischen den Verzicht auf das an, was für jedes Russland (auch ohne Putin) schwer akzeptabel wäre: die Nato-Mitgliedschaft. Auch die Frage der Krim scheint für Kiew nicht mehr unverhandelbar. Und in der Tat könnte die Lösung darin liegen, dass Kiew einen Gewaltverzicht auf Jahrzehnte unterschreibt und die Lösung des Problems in geschichtliche Zeiträume vertagt, in denen es irgendwann eine freie Abstimmung in einem anderen Russland geben könnte.

Dass Putins Russland all das nicht reicht, zeigt wohl überdeutlich: Es geht nicht nur um diese immer wieder von Moskau vorgebrachten Forderungen, sondern eben doch um die Zerschlagung der Ukraine und deren Übernahme, sofern es denn nur militärisch gelingt. Und darum geht dieser Krieg weiter, noch Wochen und vielleicht viele Monate. Und deswegen hilft derzeit nur eines: Militärischer Widerstand, und zwar so viel wie möglich, auch mit so viel Unterstützung aus dem Westen, wie eben noch möglich ist. Erst wenn Putin - oder sein Machtzirkel?- realisiert, dass dieses eine und erste Mal sein Gewaltspiel scheitert, dann gibt es eine Chance auf Waffenstillstand oder gar Frieden, für die Ukraine und für das ganze Europa. Aber eben auch nur dann, wenn dieser Versuch mit der Gewalt endgültig gescheitert ist. Vorher wird ein Wladimir Putin nicht einlenken.

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