Gastkommentar

Ist es Zeit für eine Uno ohne Russland?

Es wäre ein kühner Schritt in einer beispiellosen Krise der Weltordnung, wenn die westliche Staatengemeinschaft Russland ausschliessen oder zumindest seinen Vertretern die Teilnahme an der Generalversammlung verwehren würde.

Matthias Herdegen 214 Kommentare
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Der russische Uno-Botschafter Wassily Nebenzya mit seinen Beratern vor dem Treffen des Uno-Sicherheitsrates in New York am 17. März.

Der russische Uno-Botschafter Wassily Nebenzya mit seinen Beratern vor dem Treffen des Uno-Sicherheitsrates in New York am 17. März.

David Dee Delgado / Reuters

Russland ist ein ständiges Mitglied des für den Weltfrieden verantwortlichen Uno-Sicherheitsrates. Mit dem Überfall auf die Ukraine erhebt es die Missachtung der territorialen Ordnung Europas und Kriegsverbrechen zum Regierungsprogramm – und legt so die Axt an die Glaubwürdigkeit der gesamten Organisation der Vereinten Nationen. Mit seinem Vetorecht kann Russland in eigener und fremder Sache im wichtigsten internationalen Organ jeden Schritt zur Wahrung der internationalen Sicherheit blockieren. Spätestens jetzt verliert die Einbindung Russlands als unentbehrlicher Akteur im Uno-System ihren Mehrwert.

Als eines der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates könnte Russland seinen Ausschluss aus den Vereinten Nationen oder eine Suspendierung der Mitwirkungsrechte nach den allgemeinen Uno-Vorschriften mit seinem Vetorecht verhindern. Deshalb sollte die westliche Staatengemeinschaft jetzt an andere Wege zu einem Uno-Sicherheitssystem ohne Russland in der Schaltzentrale denken.

Nachfolge auf den sowjetischen Sitz

Noch heute spricht die Uno-Charta bei den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates nur von der UdSSR. Nach allen hergebrachten Regeln des Völkerrechts ist mit der Sowjetunion auch deren Uno-Sitz untergegangen. Weder ist Russland als neues Mitglied aufgenommen worden, noch wurde die Charta geändert. Vielmehr hatten sich 1991 die aus der Sowjetunion hervorgegangenen Staaten zur Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zusammengeschlossen und dann einseitig auf das Nachrücken Russlands auf den – eigentlich verschwundenen – sowjetischen Sitz verständigt.

Vorher hatte Russland den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten – also auch der Ukraine – die Achtung ihrer Souveränität vertraglich zugesagt. So wurde eine neue sowjetische Erbmasse konstruiert mit Russland als «Fortsetzerstaat». Dieses Konstrukt haben die USA und andere Mitglieder des Sicherheitsrates im Vertrauen auf die neue Weltordnung akzeptiert. Aber Russland scherte schon mit der Krim-Annexion aus.

Das russische Vorgehen stellt eine schwerwiegende Verletzung der Uno-Charta dar. Diese berechtigt nach allgemeinen Regeln des Völkervertragsrechts andere Mitgliedstaaten zur Suspendierung oder Beendigung der vertraglichen Beziehung. Auch zerstört die russische Aggression die Grundlage für die damalige Zustimmung der anderen Sicherheitsratsmitglieder zur Nachfolge in die sowjetische Position.

Die Nachfolge Russlands auf den sowjetischen Sitz könnte ebenso enden wie der sie einst tragende Konsens mit der westlichen Staatengemeinschaft.

Als mindere Alternative kommt in Betracht, den russischen Vertretern die Akkreditierung durch die Uno-Organe zu entziehen. Einen prominenten Präzedenzfall bildet die Nichtakkreditierung von Diplomaten des südafrikanischen Apartheidregimes durch die Uno‑Generalversammlung im Jahr 1974. Diese hatte sich vorher jahrelang geweigert, südafrikanische Beglaubigungsschreiben anzuerkennen. Schliesslich erklärte der Vorsitzende der Uno-Generalversammlung, dass der südafrikanischen Delegation eine Mitwirkung zu versagen sei.

Juristische Grauzone

Für den Ausschluss der Vertreter Russlands aus dem Sicherheitsrat müsste dieser den russischen Vollmachten nach seiner Geschäftsordnung die Anerkennung versagen. Damit würde sich der Sicherheitsrat in eine juristische Grauzone begeben. Aber der Überfall Russlands und dessen nukleare Drohungen haben die Grundfesten der Uno weit mehr erschüttert als das alte Apartheidregime Südafrikas. Wenn es sich dabei um eine prozedurale Massnahme handelt, kann Russland diese, anders als materielle Entscheidungen, nicht mit seinem Veto blockieren. Denn prozedurale Fragen werden im Sicherheitsrat mit seinen 15 Mitgliedern einfach mit einer 9-Stimmen-Mehrheit entschieden. Dafür spricht, dass es hier nur um die Akkreditierung der Regierungsvertreter geht und nicht um die Stellung Russlands als solche.

Gewiss handelt es sich bei den hier skizzierten Möglichkeiten um einen kühnen Schritt in einer beispiellosen Krise der Weltordnung. Jedenfalls sollte die westliche Staatengemeinschaft sich die Option offenhalten, die Entfernung Russlands oder zumindest seiner Vertreter aus den Vereinten Nationen zu betreiben. Realistisch ist diese Option aber nur, wenn eine Mehrheit der Mitglieder die weitere Mitentscheidung des russischen Friedensstörers über Frieden und Sicherheit in der Welt als untragbar ansieht.

Wird diese Option gezogen, könnten die USA den russischen Vertretern die Einreise nach New York verweigern. Der Kreml mag dann mit anderen autokratischen Regimen woanders eine eigene Bühne der Selbstdarstellung und neue Zirkel der Kooperation initiieren.

Im Übrigen stünde bei einem Regimewechsel der Russischen Föderation eine Rückkehr in die Uno offen. Auch die blosse Drohung mit einer Ausgrenzung wird den Kreml treffen, wenn sie ernst gemeint ist. Sie meint nicht weniger als die fällige Deklassierung einer zynischen Grossmacht, die sich nur noch über ihr Vernichtungspotenzial definiert und sich von allen rechtlichen Bindungen losgesagt hat.

Matthias Herdegen ist Direktor des Instituts für Völkerrecht an der Universität Bonn.

214 Kommentare
A. M.

Ich empfinde diesen Vorschlag nicht nur dumm, sondern vor allem gefährlich. Einerseits ist die Ausgrenzung und Kränkung von Russland, wie wit kürzlich hier lesen konnten, einer der wahrscheinlichsten Kriegsgründe. Andererseits müssten dann Staaten wie Saudi Arabien (wegen Yemen), die USA (z B. wegen dem Irak) und viele andere Staaten (z.B. in Afrika) auch ausgeschlossen werden. Wer entscheidet über sowas? Die USA? Ist die UNO dann überhaupt noch glaubwürdig oder ist sie lediglich Ausführungsorgan bis zu den nächsten US-Wahlen? War Regime-Change Politik in den letzten 50 Jahren jemals erfolgreich?

Tino Lamprecht

Ausschließen sollte man in der einzigen weltweiten Versammlung niemanden. Aber es wäre gut, die Vetorechte abzuschaffen.  One country one vote - und die Uno könnte Russland mit großer Mehrheit öffentlich verurteilen.