Können die USA mit Chinas Seidenstraßen-Initiative konkurrieren?

US-Präsident Joe Biden mit dem indischen Premierminister Narendra Modi beim G20-Gipfel in Bali, Indonesien, im November 2022. Bild: Adam Schultz, Weißes Haus / CC0

Die USA sind der Schlüssel zu einem ehrgeizigen neuen Plan. Er will Indien, den Nahen Osten und Europa miteinander verbinden. Was ist davon zu halten?

Zehn Jahre nachdem der chinesische Präsident Xi Jinping in Kasachstan und Indonesien Chinas Seidenstraßen-Projekt (Belt and Road Initiative, BRI) ankündigte, wurde Anfang dieses Monats auf dem G20-Treffen in Neu-Delhi mit großem Tamtam eine neue Handelsinitiative von den Vereinigten Staaten, Indien, den arabischen Golfstaaten und den europäischen Ländern vorgestellt.

Da die Ankündigung ohne die Anwesenheit des russischen und des chinesischen Präsidenten erfolgte, hat sie zu widersprüchlichen Interpretationen geführt. Einige sehen darin eine potenzielle Alternative zur BRI, während andere das Projekt mit Verweis auf das Scheitern ähnlicher, von westlichen Staaten unterstützter Projekte in der Vergangenheit als Papiertiger betrachten.

Details sind noch nicht bekannt, aber die Ambitionen des Projekts sind enorm. Es verfolgt einen transregionalen Ansatz, wie es in der Erklärung des Weißen Hauses heißt:

Mit dem India-Middle East-Europe Economic Corridor (Imec) wollen wir eine neue Ära der Konnektivität einläuten, mit einer Eisenbahn, die über Häfen mit Europa, dem Nahen Osten und Asien verbunden ist.

Die Idee dieses Korridors stammt aus dem Jahr 2021 und wurde auch im Rahmen der I2U2-Gruppe diskutiert, der Indien, Israel, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und die Vereinigten Staaten angehören. Wie die BRI folgt man ebenfalls der Logik des Korridors. Das ist keine Überraschung. Die "Korridorisierung" ist die bedeutendste räumliche Manifestation des infrastrukturellen Kapitalismus und der Geo-Ökonomie seit Beginn dieses Jahrhunderts.

Die Korridorisierung, die Teil des florierenden "Minilateralismus" ist, könnte als widersprüchlich angesehen werden, da die Mittelmächte versuchen, zwischen zwei sich verhärtenden geopolitischen Blöcken zu navigieren. Aber der laufende Prozess der Neugestaltung der globalen Lieferkettenverbindungen, die durch die jahrzehntelange Globalisierung entstanden sind, könnte ihn zu einem brauchbaren Vorschlag machen.

Das chinesische Seidenstraßen-Projekt BRI und die US-Initiative Imec scheinen viele ähnliche Ziele zu verfolgen. Aber es gibt auch entscheidende geografische Unterschiede. Am wichtigsten ist, dass Indien, das nie Teil der BRI war, in der neuen Initiative als zentraler überregionaler Akteur inmitten neuer geografischer Vorstellungen auftritt.

Jede der an der neuen Initiative beteiligten Parteien bringt ihre eigene Perspektive und ihr eigenes Interesse ein.

Für die Vereinigten Staaten dienen I2U2 und Imec als Plattformen für Infrastrukturinvestitionen, die Partner aus dem Nahen Osten und Südasien zusammenbringen und eine Alternative zu chinesischen Projekten darstellen. Washington sieht in diesem Ansatz eine Möglichkeit, seine regionalen Partner zu ermutigen, eine aktivere und unabhängigere Rolle bei der Gestaltung der Zukunft der Region zu übernehmen, was es den Vereinigten Staaten ermöglicht, ihre eigenen Ressourceninvestitionen zu reduzieren und gleichzeitig ihre Präsenz und ihren Einfluss zu wahren.

Für die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien besteht das Ziel darin, ihre zunehmend diversifizierte und mehrfach vernetzte Wirtschaftsdiplomatie zu stärken, die einen größeren geografischen Raum abdeckt. Beide Länder sind aktive Mitglieder der BRI, und ihre Zusammenarbeit mit China nimmt zu.

Neben dem aufkeimenden Handel sind sie Dialogpartner der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) und werden bald Vollmitglieder der erweiterten Brics (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) sein. Beide Länder versuchen, ihre strategische Autonomie zu erweitern und wetteifern darum, einflussreiche regionale und internationale Akteure zu werden. Die Beteiligung an mehreren neuen minilateralen Gruppierungen ist ein wesentlicher Bestandteil ihres Konzepts zur Stärkung ihres Status als Mittelmacht.

Saudi-Arabien öffnet sich zunehmend der Welt öffnet und orientiert sich stärker auf China. Gleichzeitig haben die VAE ihr neues Alleinstellungsmerkmal in der Konnektivität und der multinationalen Ausrichtung gefunden.

Das Gerangel um Partnerschaften und Einfluss

Während die unterschiedlichen Herangehensweisen an geostrategische und regionale Fragen, insbesondere die wachsende Macht und der globale Einfluss Chinas, nach wie vor Anlass zur Sorge geben, spiegelt die Beteiligung der arabischen Golfstaaten an US-geführten Initiativen ihre neue Vorliebe für Äquidistanz inmitten des Wettbewerbs zwischen den USA und China wider.

In der Tat könnten die Vereinigten Staaten den Imec als ein Mittel betrachten, um Chinas wachsendem Einfluss in der Region entgegenzuwirken. Im Nahen Osten sind Wettbewerb und Konvergenz jedoch gemischt und weniger schwarz-weiß, als es die zunehmende Bipolarität zwischen den USA und China vermuten ließe.

Wenn die Vereinigten Staaten erwarten, dass die Region sich vom BRI wegbewegt, werden sie wahrscheinlich enttäuscht werden. Der Wettbewerb im Indischen Ozean könnte eskalieren, aber potenzielle Synergien und Konvergenzen sollten ein gewisses Maß an gegenseitigem Entgegenkommen ermöglichen.

Indien, das von den Vereinigten Staaten als "unverzichtbarer Partner" betrachtet wird, hat anderen Ländern gezeigt, wie eine Ausrichtung auf viele Partner aussieht. Dem Vorbild könnten andere folgen. Indien ist Mitglied der Quad und der I2U2, die beide die Vereinigten Staaten umfassen. Aber es ist auch Mitglied der Brics und der SCO, mit China in beiden Organisationen vertreten, trotz des Streits Neu-Delhis mit Beijing über Grenzfragen.

Der Imec fügt seiner seit Langem verfolgten Multi-Alignment-Politik einen weiteren Strang hinzu, indem die Organisation den anderen von Indien geförderten Verbindungskorridor – den Internationalen Nord-Süd-Transportkorridor – mit dem Iran und Russland betont. Zusammengenommen tragen diese Projekte zu Indiens Entwicklungsgeschichte und zu seiner Selbstdarstellung bei, die am schnellsten wachsende Wirtschaft der Welt zu sein.

Der neue Wirtschaftskorridor sieht auch die mögliche Aufnahme Israels vor. Es unterstreicht das weitere Bemühen der USA, das Abraham-Abkommen auszuweiten, indem die Normalisierung der israelisch-saudischen Beziehungen erleichtert wird.

Israel ermöglicht das regionale Engagement, die Spannungen mit den Vereinigten Staaten, den VAE und Saudi-Arabien, die im Zuge der Politik der rechtsextremen Koalition unter der Führung von Premierminister Benjamin Netanjahu entstanden sind, zu managen.

Die Ausweitung des Abraham-Abkommens, insbesondere auf Saudi-Arabien, hat für Israel und die Vereinigten nach wie vor höchste Priorität, auch wenn Riad darauf besteht, die Normalisierung der Beziehungen an Fortschritte bei der Zwei-Staaten-Lösung zu knüpfen. Es gibt zaghafte Anzeichen dafür, dass Netanjahu einigen Zugeständnissen an der palästinensischen Front zustimmen könnte, selbst um den Preis des Auseinanderbrechens seiner rechtsgerichteten Koalition, um Israels breitere regionale Integration zu nutzen und zu erhalten.

Für China, das in Kürze nach diversen Covid-19-Shutdowns den ersten örtlichen BRI-Gipfel in Beijing ausrichten wird, stellt der Imec eine Herausforderung und eine Chance dar. Beijing könnte den Imec abtun, wie es die Vereinigten Staaten mit der BRI getan haben.

Die andere Möglichkeit besteht darin, wie kurz nach dem G20-Treffen angedeutet, seine Bereitschaft zu demonstrieren, vielfältig ausgerichtete Konnektivität zu unterstützen, auch wenn sie nicht Teil des Korridors ist, unter der Maßgabe, dass solche Projekte "offen und inklusiv sind sowie Synergien bilden" und nicht zu "geopolitischen Instrumenten" werden.

Das letzte Glied in dieser neuen Konnektivitätssaga wäre Europa, insbesondere die östlichen Mittelmeerländer. Das Imec ist eine begrüßenswerte Entwicklung, da das "Global Gateway", das eigene Konnektivitätsprojekt der Europäischen Union, nicht ausreichend in Schwung gekommen ist, weil die europäischen Diplomaten in Brüssel gegenüber Strategien, Mehrfachausrichtungen und transregionalen Korridoren zögerlich sind.

Das Imec ist zwar ein Zusammenspiel von Wirtschaft, Diplomatie und Sicherheit, doch werden seine Aussichten von der Fähigkeit der Organisation abhängen, die Brücken zu fördern und das wirtschaftliche Potenzial in kommerziellen Erfolg umzusetzen.

Kritiker haben bereits darauf hingewiesen, dass die Initiative wegen fehlender Profitabilität nicht lebensfähig sein könnte. Doch es kann auch argumentiert werden, dass es neben der wirtschaftlichen Effizienz noch andere Vorteile gibt.

In einer Welt des De-Risking (Risikominimierung) und der politisch bedingten Verlagerung von Lieferketten könnte der neue Korridor als Instrument zur Förderung der strategischen Widerstandsfähigkeit, des Friendshoring (Werben um Partnerschaften) und der technischen Zusammenarbeit, insbesondere für Mittelmächte, betrachtet werden.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.

Maximilian Mayer ist Junior-Professor für International Relations and Global Politics of Technology am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS), Universität Bonn.

Gedaliah Afterman ist Leiter des Asia Policy Program am Abba Eban Institute for Diplomacy & Foreign Relations an der Reichman Universität (IDC Herzliya).

N. Janardhan ist Direktor für Forschung und Analyse an der Anwar Gargash Diplomatic Academy in Abu Dhabi. Er ist auf die Beziehungen zwischen den Golfstaaten, Asien und Afrika spezialisiert.