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Gastbeitrag zum Russland-Ukraine-Konflikt: Krieg mit Putin ist längst im Gange - wir haben ihn in unserem Hochmut nur verschlafen
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STYLELOCATIONRussian President Vladimir Putin takes a lunch break during a weekend trip with Defense Minister Sergei Sho
imago images/ZUMA Wire
  • FOCUS-online-Gastautor

Der Konflikt zwischen Russland und den Nato-Staaten um die Ukraine wird von manchen als neuer „Kalter Krieg“ bezeichnet. Das ist falsch. In Wahrheit ist dies ein Krieg, der bereits im Gange ist, und er hat ein wesentlich früheres Anfangsdatum. Das hat der Westen nur weitgehend verschlafen, die Deutschen jedenfalls völlig.

Dieser Krieg hat zwar noch keinen Namen, aber er hat einen Kriegsschauplatz, die Ukraine, und er hat ein Anfangsdatum: Am Mittwoch, den 16. Februar, so US-Präsident Biden, werde Moskau den Einmarsch in die Ukraine beginnen, hieß es. Diese Annahmen waren allesamt falsch, denn weder begann ein Schießkrieg am 16. Februar oder in den Tagen danach, noch wäre alleine die Ukraine Schauplatz der Auseinandersetzung.

In Wirklichkeit ist dies ein Krieg, der bereits im Gange ist, und er hat ein wesentlich früheres Anfangsdatum, denn es ist einer der neuen, der hybriden Kriege, welche seit den 2010er Jahren zunehmend das Kriegsbild und die Formen der Auseinandersetzung bestimmen.

Die Spielbühne, auf der die Inszenierung für das Publikum angesetzt ist, ist die Ukraine. In Wahrheit aber wird ein anderes Spiel aufgeführt, und aus der Requisite werden gewaltige Bühnenbilder hervorgezaubert und mit Nebel, Theaterdonner und Lichteffekten eindrücklich zur Geltung gebracht. Das Stück in der realen Welt spielt primär in der Welt der Infosphäre mit dem Ziel politischer Beeinflussung, und zwar zu dem Zweck durchaus realer Machtverschiebungen. Die (Haupt-)Akteure sind: Russland und die USA, alle anderen sind Statisten oder müssen gar als Bühne herhalten wie die Ukraine, auf und um deren Territorium das Stück dargeboten wird.

Neuer "Kalter Krieg"? Warum der Westen verschlafen hat, was Russland wirklich ist

 

Dieser Krieg wird von manchen als neuer „Kalter Krieg“ bezeichnet, aber der historische Rekurs beinhaltet die Gefahr von Missverständnissen und Fehlurteilen. Damals gab es eine klare, nicht zuletzt territorial definierte Abgrenzung der Einflusszonen und auf beiden Seiten, Ost wie West, die Gewissheit, die des jeweils anderen zu respektieren und nur um den Preis des eigenen Untergangs anzutasten. Einzige Ausnahme waren von Europa weit entfernte Regionen wie in Asien oder Afrika, wo die Grenzen des Machbaren in Stellvertreterkriegen ausgelotet wurden.

Heute ist alles anders. Das nach 1990 eine Dekade lang strauchelnde Russland ist in einem zwei Jahrzehnte währendem Programm von Präsident Putin wieder zu dem ertüchtigt worden, was es in seiner Geschichte immer wahr: Eine Großmacht, ein militärisch starkes Imperium, das seinen Interessen energisch Geltung verschafft.

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POOL/AFP via Getty Images Vladimir Putin als Präsidentschaftskandidat im Jahr 2000.

Dies hat der Westen weitgehend verschlafen, die Deutschen jedenfalls völlig. Noch in den frühen 2000er Jahren glaubte der Westen in geradezu sträflichem Hochmut, er habe nicht nur den Kalten Krieg gewonnen (hatte er), sondern gleichzeitig eine Ewigkeitsgarantie für den Erhalt der von ihm erwünschten Ordnung ausgestellt bekommen.

Nicht nur der vielgescholtene Francis Fukuyama („Das Ende der Geschichte“) hatte sich in diese in weiten Teilen der Öffentlichkeit des Westens bis heute weit verbreitete Naivität verrannt. Doch Geschichte und allemal das machtpolitische „Great Game“ der Großmächte war und ist immer nur ein Fließgleichgewicht, und dieses verschiebt sich von hier nach da in einem steten Hin und Her der langen Wellen. Russland jedenfalls war und blieb willens und ist inzwischen auch wieder in der Lage, dieser westlich dominierten Welt Paroli zu bieten. Daran hat Präsident Putin 20 Jahre hart gearbeitet.

Konfrontation mit Ansage: Schon 2007 war evident, was passieren wird

 

Es ist eine Konfrontation mit Ansage, und der Beginn der aktuellen Verwicklungen wurde spätestens 2007 evident. Damals erklärte Putin auf der (ironischerweise auch jetzt wieder tagenden) Münchner Sicherheitskonferenz, dass Russland andere Seiten aufziehen werde, wenn die NATO (sprich: USA) mit ihrem Militärapparat und dessen Strukturen Russland immer näher komme. Er wiederholte diese Warnungen auf dem Bukarest-Gipfel der NATO im Frühjahr 2008. Dem vorausgegangen war bekanntlich die große 2004er Erweiterungsrunde der NATO, welche die letzten ehemaligen Verbündeten der Sowjetunion aus dem Warschauer Pakt in das NATO-Lager geführt hatte, darunter Länder wie Bulgarien und Rumänien an der russischen Südflanke. Für Russland war seitdem klar: Die Allianz rückt fast unaufhaltsam an seine Grenzen vor.

Im August 2008 glaubte der traumtänzerische, aus den USA reimigrierte Präsident Saakaschwili in Georgien, er könne die Rebellenprovinz Süd-Ossetien mit Militär zurückerobern. Moskau erteilte ihm eine empfindliche militärische Lektion. Spätestens seit dieser Zeit ist Putin, ist Russland definitiv in einer von ihm als großem Machtkampf empfundenen Auseinandersetzung mit „dem Westen“ verstrickt. Darunter versteht Putin die USA, während die europäische Mächte für ihn nur noch teilselbständige Vasallen der Amerikaner sind.

Auf die Amerikaner zielt er, und der Zweck seines Handelns ist die Positionierung des russischen Imperiums auf Basis von dessen uneingeschränkter Souveränität im Sinne eines klassischen Politikverständnisses. Mit diesem Verständnis Putins und der russischen Eliten von der Lage der Dinge werden wir leben müssen, weil wir es nicht ändern können. Nur darum aber geht es, nicht um scheinbar „objektiven Tatsachen“ so vieler Debatten dieser Tage, die da lauten, dass der Westen niemanden bedrohe und doch auch keine Drohgebärden gegenüber Rußland aufführe. Das mag alles so sein, tut aber nichts zur Sache.

Treffen Bush und Putin in Sotschi - Abschied als Präsidenten
dpa Treffen von George Bush und Vladimir Putin in Sotschi im Jahr 2008.

Autoritär im Inneren, imperial nach außen: Die Motive Russlands verstehen

 

Was dagegen Not tut, das ist, die Antriebsmotive der russischen Seite zu verstehen und als eine Tatsache in den gegenwärtigen politischen Konstellationen zu betrachten und zu berücksichtigen.

Moskaus Handeln verfolgt nur einen klar ersichtlichen und klar benennbaren Zweck: Russland als souveräne, möglichst unangreifbare Großmacht zu (re)positionieren und seinen eigenen Weg einschließlich der Gestaltung autoritärer Verhältnisse im Inneren unangefochten weiterzugehen. Dem ist alles andere untergeordnet, und dies entspricht den jahrhundertealten Grundmustern und Traditionen russischer Politik: autoritär im Inneren, imperial nach außen.

Das kann man mögen oder verurteilen, aber solche subjektiven Meinungen ändern nichts an den Fakten, denn was Russland will, definiert auch weiter die russische Führung und nicht die westliche öffentliche oder veröffentlichte Meinung. Auf außengesteuerten „regime change“ zu setzen, der weder in Syrien, noch in Libyen oder im Iran funktionierte, hilft da nicht weiter. Und klar ist auch: Großmächte, Imperien erst recht, haben Einflusszonen, worauf z.B. Herfried Münkler jüngst hingewiesen hat, und sie verteidigen diese mit Händen und Klauen.

Gebot der Klugheit: Die Interessen der anderen Seite können nicht länger ignoriert werden

 

Auch die USA haben nicht zugelassen, dass die Sowjets auf Kuba nuklear bestückte Raketen stationierten und sind zu deren Beseitigung konsequent bis an die Schwelle des Krieges gegangen. Die Krise wurde entschärft, und im Ergebnis eines klugen „deals“ verschwanden nicht nur die Raketen der Sowjets auf Kuba, sondern kurz danach auch die der USA in der Ost-Türkei, wovon bis kaum einer noch spricht oder auch nur weiß. Es gibt in solchen Fragen keine Lösungen, bei denen nicht beide Kontrahenten von ihren Maximalforderungen lassen und Kerninteressen der Gegenseite (das „Nicht-Verhandelbare“) berücksichtigen.

Was lehrt uns das und was hat das mit der Ukraine zu tun? Wenn es um das beidseitige Überleben geht, dann sollte man Realitäten als Realitäten betrachten, und nicht Prinzipienreiterei betreiben, und wenn, dann allenfalls vor, aber nicht hinter der Kulisse.

Die Situation von 1962 ist mit der von heute natürlich nur sehr begrenzt vergleichbar. Zwar ist heute wieder Russland der Treiber der aktuellen Konfrontation und auch diejenige Macht im Geschehen, die mit dem Aufbau einer in der Tat gewaltigen Drohkulisse gegenüber der Ukraine aktiv handelt und die Krise heraufbeschwört. Es ist daher richtig, dass der Westen darauf mit Geschlossenheit und dem Willen zur Selbstbehauptung reagiert. Es ist aber auch ein Gebot der Klugheit, nun endlich zu erkennen, dass man die Interessen der anderen Seite nicht länger ignorieren kann.

Über den Experten

Dr. Joachim Weber ist Senior Fellow am strategischen Thinktank CASSIS der Universität Bonn und beschäftigt sich mit Fragen strategischer Vorausschau. Er ist Russland- und Arktisexperte, studierter Osteuropahistoriker und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit sicherheitspolitischen Fragestellungen. Jüngste Veröffentlichungen umfassen zwei Bücher zu den geopolitischen Entwicklungen in der Arktis.

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