1 Einleitung

Vom 30. September bis 2. Oktober 2022 fand am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS) der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn in Präsenz das neue Format Bonn Future Lab on Strategic Foresight „Climate Change and Security“ statt. Es zielte darauf ab, den Bonner Schwerpunkt auf die strategische Nachhaltigkeitsforschung mit neuer Perspektive zu erweitern, indem es hochrangige, internationale Wissenschaftler*innen aus dem breiten Bereich der Klimasicherheit in Austausch brachte, diese mit jungen Fachkräften und Studierenden aus ganz Deutschland vernetzte und nicht zuletzt mit den Nachwuchskräften, hauptsächlich Promotionsstipendiat*innen der Begabtenförderungswerke, einen professionell gestalteten Workshop zur Strategischen Vorausschau durchführte. Gemeinsam mit den Bonner Institutionen German Institute of Development and Sustainability (IDOS), der Bonner Allianz für Nachhaltigkeitsforschung und der Nordrhein-Westfälischen Akademie für Internationale Politik konnte ein Forum für die Vernetzung von Forscher*innen und Expert*innen mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Hintergründen geschaffen werden. Insgesamt knapp 100 Teilnehmer*innen diskutierten den breit aufgefächerten Forschungsstand im Bereich des Climate-Security Nexus eingehend. Kern des Workshops war das Erlernen von Methoden und Techniken der strategischen Vorausschau, einschließlich der Erstellung von Szenarien, sowie der Identifizierung globaler Megatrends.

2 Rahmen: Das 7. International Security Forum Bonn

Das Bonn Future Lab on Strategic Foresight widmete sich dem hochaktuellen Thema der Verbindungen von Klimawandel und Sicherheit. Es war eingebettet in das 7. International Security Forum Bonn (ISFB) des CASSIS, welches unter der Schirmherrschaft von Ministerpräsident Hendrik Wüst ausgerichtet wurde. Der vorausgehende „Main Day“ des ISFB wurde durch die Henry-Kissinger-Professur für Sicherheits- und Strategieforschung gestaltet und durchgeführt. Unter dem Titel „‚Zeitenwende‘ – A New Era in International Relations and Security Cooperation“ brachte dieser Konferenztag hochrangige Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Diplomatie, wie Prof. Dr. Dr. h.c. Karl Kaiser (Harvard University) und Angus Robertson, MSP, Cabinet Secretary for the Constitution, External Affairs and Culture bei der schottischen Regierung in Edinburgh, Jürgen Trittin, Mitglied des Deutschen Bundestages und außenpolitischer Sprecher für die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, und Jan Techau, Leiter des Referats Reden im Bundesministerium der Verteidigung, zusammen. Sie alle bereicherten die Diskussion mit Impulsen zu den Themen Auswirkungen aktueller globaler Herausforderungen auf die transatlantische Agenda und Konsequenzen globaler Machtverschiebungen für die transatlantische Sicherheitszusammenarbeit. Es fanden vier Podiumsdiskussionen mit renommierten internationalen Wissenschaftler*innen zu folgenden Themen statt: „Religion, Conflict and Politics – A view from Both Sides of the Atlantic“, „Antisemitism as a Growing Problem in an Age of Uncertainty – A Global Perspective“, „The Impact of Current Global Challenges on the Transatlantic Agenda“, „‚Zeitenwende‘ – Renaissance of Transatlantic Relations?“ und „Tech Middle Powers in the Geopolitical Storm: New Opportunities for Strategic Cooperation?“.Footnote 1

3 Der wissenschaftliche Konferenztag des Bonn Future Labs

Das Bonn Future Lab wurde in enger Zusammenarbeit mit den Durchführungspartnern – IDOS, Bonner Allianz für Nachhaltigkeitsforschung und der Nordrhein-Westfälischen Akademie für Internationale Politik – organisiert. Es bestand aus einem internationalen wissenschaftlichen Konferenztag (30. September) und einem zweitägigen Strategic Foresight Workshop (1.–2. Oktober). Der internationale Konferenztag widmete sich unter Chatham House Rule globalen Megatrends aus den verwandten, aber sich häufig doch so fremden Perspektiven der Sicherheits- und Entwicklungspolitik und diskutierte den „Climate Change and Security Nexus“ mit nationalen und internationalen Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen. Auf dieser inhaltlichen Basis vermittelte der Strategic Foresight Workshop jungen interdisziplinären Multiplikator*innen aus ganz Deutschland Wissen über Techniken und Methoden der strategischen Vorausschau. Der Workshop wurde vom CASSIS gemeinsam mit der Abteilung Internationale Strategien und Instrumente des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR)-Projektträgers konzipiert und durchgeführt. Ausgehend von den inhaltlichen und methodischen Inputs entwickelten und diskutierten die Workshop-Teilnehmer*innen umfassende Zukunftsvisionen und Antworten für drängende sicherheitspolitische Herausforderungen als Konsequenzen des Klimawandels und entwickelten vier explorative Szenarien und strategische Handlungsempfehlungen.

Nach eröffnenden Worten des Geschäftsführers des CASSIS, Dr. Enrico Fels, der Prodekanin für Nachhaltigkeit der Universität Bonn, Prof. Dr. Annette Scheersoi, und des Dekans der Philosophischen Fakultät und Direktors des CASSIS, Prof. Dr. Volker Kronenberg, legte Prof. Dr. Jürgen Scheffran (Universität Hamburg) mit einer Keynote die inhaltliche Grundlage für den Konferenztag. Unter dem Titel „The Nexus of Climate Change and Security: Between Conflict and Cooperation“ gab er den Teilnehmer*innen und der interessierten Öffentlichkeit einen breiten Überblick über seine international anerkannte Forschung und die langfristige Entwicklung des Forschungsthemas. Ausgehend vom Limits to Growth-Bericht (Meadows et al. 1972) stellte er eine Verbindung zur aktuellen globalen Situation und den Problemen moderner Gesellschaften her. Sie seien gezeichnet durch unkontrolliertes Wachstum, die sogenannte große Beschleunigung. Ausgehend von seiner eigenen ausführlichen Forschung umriss Prof. Scheffran die komplexen Zusammenhänge zwischen Nachhaltigkeit einerseits und internationalem Frieden und Konflikten andererseits und beleuchtete die spezifischen Wechselwirkungen zwischen klimatischen und Umweltveränderungen und den einzelnen Faktoren Lebensgrundlagen, Kultur, Migration und der Rolle von Institutionen im Kontext von Gewaltkonflikten und Sicherheit.

Die erste Input-Session zum Thema „The Nexus of Climate Change and Security in a New Epoch of Geopolitics“ wurde von Dr. Marian Feist (Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP) moderiert. Die Podiumsteilnehmer*innen Laura Birkman (The Hague Centre for Strategic Studies), Yana Popkostova (European Institute for Security Studies) und Dr. Frank Umbach (European Cluster for Climate, Energy and Resource Security (EUCERS), CASSIS) diskutierten systematisch über die Berührungspunkte von Klimawandel und verschiedenen sicherheitspolitischen Themenbereichen. Diese Wechselwirkungen wurden vor dem Hintergrund der sich verändernden globalen geopolitischen und ökonomischen Ordnung reflektiert. Aus ihren jeweiligen Perspektiven warfen die Expert*innen einen Blick in die Zukunft, entwarfen Best- und Worst-Case-Szenarien für das Jahr 2030 und betonten das Dilemma globaler politischer Spannungen und der insbesondere auch sicherheitspolitischen Menschheitsherausforderung Klimawandel.

Prof. Dr. Brahma Chellaney (Centre for Policy Research in New Delhi), Dr. Angelique Palle (Institute de Recherche Stratégique de l’École Militaire, IRSEM), Prof. Dr. Susanne Schmeier (Institute for Water Education, IHE Delft) und Dr. Paola Vesco (Department of Peace and Conflict Research, Universität Uppsala) diskutierten in der zweiten Input-Session, geleitet von Dr. Florian Krampe (Stockholm International Peace Research Institute, SIPRI) das Thema „Tackling Climate Security – Governance, Actors, Tools“. Nach der Diskussion der Vielschichtigkeit der Problematik im ersten Panel lag hier der Fokus auf der politischen und gesellschaftlichen Antwort. Welche Zielkonflikte zwischen verschiedenen Akteursgruppen, wie Streitkräften, Diplomatie, Unternehmen und der Zivilgesellschaft können im Feld der sicherheitspolitischen Implikationen des Klimawandels auftreten und wie ist ein integrierter, gemeinsamer Ansatz denkbar? Insbesondere auch aus ihren praktischen Erfahrungen heraus unterstrichen die Diskutierenden die Notwendigkeit eines breiten internationalen Konsenses über die Problemlage und eines geteilten umsetzbaren Zeitrahmens, um die Folgen des Klimawandels im Sicherheitsbereich noch in Schach zu halten.

Der Konferenztag endete mit einer öffentlichen Podiumsdiskussion in den Räumlichkeiten der Nordrhein-Westfälischen Akademie für Internationale Politik unter dem Titel „Assessing Climate and Security Research in North Rhine-Westphalia“. Dr. Ines Dombrowsky (IDOS), Prof. Dr. Jacob Rhyner (Bonner Allianz für Nachhaltigkeitsforschung), Dr. Lukas Hermwille (Wuppertal Institut) und Prof. Dr. Shen Xiameng (United Nations University; Institute for Environment and Human Security, UNU-EHS) diskutierten explizit die regionale Rolle von Akteuren im Bundesland Nordrhein-Westfalen und hoben die Bedeutung der Bundesstadt Bonn als SDG-Standort hervor. Zugleich bildete die Veranstaltung den Rahmen für die Vorstellung des Berichts zum CASSIS-Forschungsprojekt „Sicherheitsforschung.NRW“, einem von der Landesregierung geförderten Projekt zum Mapping der wissenschaftlichen Arbeit im weiten Feld der Sicherheit im größten deutschen Bundesland.Footnote 2

4 Der „Strategic Foresight Workshop“ des Bonn Future Labs

Der „Strategic Foresight Workshop“ am 1. und 2. Oktober selbst war angereichert durch zusätzliche Inputs aus Wissenschaft und Praxis, die hybrid und öffentlich stattfanden.Footnote 3 Nach vorherigen Online-Sessions in den Wochen zuvor starteten die Teilnehmer*innen den Workshop mit einem Wake-Up-Call zum Thema: „Die Bedeutung und Umsetzung Strategischer Vorausschau in der Praxis“. Dr. Philine Warnke (Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI)) reflektierte in ihrem Vortrag die „Studie zur Institutionalisierung von Strategischer Vorausschau als Prozess und Methode in der deutschen Bundesregierung“, die sie 2022 zusammen mit Max Priebe und Sylvia Veit im Auftrag der Bundesregierung veröffentlicht hatte (Warnke et al. 2021). Sie stellte die hohe Bedeutung von strategischer Vorausschau für politische Entscheidungsträger heraus und zeigte Wege auf, die für eine fruchtbare Implementierung von strategischer Vorausschau in den politischen Prozess beschritten werden müssten.

Die interessierte Öffentlichkeit hatte auch die Möglichkeit, am Lunch-Input der Direktorin des IDOS, Prof. Dr. Anna-Katharina Hornidge, zum Thema „Future Global Megatrends, Development Cooperation and Security“ teilzunehmen. Sie stellte zunächst die breite Arbeit und entwicklungspolitische Perspektive ihres Hauses vor und wies auf die immensen Risikofaktoren des Klimawandels für global nachhaltige Entwicklung hin. Um den Herausforderungen zu begegnen, sei der Aufbau themenbezogener globaler Allianzen im Rahmen der Vereinten Nationen bedeutend sowie eine stärkere Kohärenz zwischen innen- und außenpolitischen Erwägungen notwendig.

Am Morgen des Sonntags, 2. Oktober, konnten die Workshop-Teilnehmer*innen Einsichten in die regionale Perspektive gewinnen. In „A View on Climate Change and Security from the Regions“ mit Sebastian Vagt (Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Marokko) und Dr. Vanessa Gottwick (Center for Intelligence and Security Studies an der Universität der Bundeswehr, München) ging es um den afrikanischen Kontinent und speziell um die Sahel-Region und Marokko. Hier führt der Klimawandel offensichtlich zu Risikomultiplikatoren wie Niederschlagsschwankungen, höheren Temperaturen und Extremwetterereignissen und trifft auf fragmentierte Gesellschaften und schwache Institutionen, die ein lokales Krisenmanagement und Streitschlichtungsmechanismen notwendig und schwierig zugleich machen. Staaten wie Marokko stehen mittelfristig einerseits vor immensen Herausforderungen durch den Klimawandel, können durch ihre geografischen Voraussetzungen aber auch Gewinner der Energietransformation sein, wenn sie progressive und innovative Politiken sozialverträglich implementieren.

Mit dem neu gewonnenen Input des Konferenztags reicherten die Teilnehmer*innen des Strategic Foresight-Workshops ihre bereits in den zwei digitalen Vorbereitungssitzungen begonnene Unsicherheitsanalyse an und aktualisierten diese. Die Vorbereitungssitzungen wurden per Zoom durchgeführt und boten einen ersten Überblick über die Methoden der Szenarioentwicklung. Zwischen ihnen wurde in einer kooperativen „Hausaufgabe“ ein Trendradar entlang der Themenbereiche „Zukunft der Gesellschaft“, „Zukunft von Klima und Umwelt“, „Zukunft von Wissenschaft und Technik“ und „Zukunft der (Geo‑)Politik“ entwickelt. Im nächsten Schritt wurde der Workshop in Arbeitsgruppen aufgeteilt, die jeweils ein Szenario auf Basis eines der vier Archetypen 1) Wachstum, 2) Disziplin, 3) Kollaps und 4) Transformation formulieren sollten. Am zweiten Tag des Workshops arbeiteten die Teilnehmer*innen in Gruppensitzungen an den verschiedenen Szenarien. Nach Abschluss der Gruppenarbeit wurden die vier mit Storytelling-Elementen unterstützt ausformulierten Szenarien im Plenum vorgestellt. Das Transformationsszenario mit dem Titel „Unabhängigkeitserklärung der United Corporations Organization“ wurde von den Teilnehmer*innen selbst für den nächsten Schritt ausgewählt: Auf Basis eines weiteren Inputs zum Thema Backcasting wurde der Übergang von der Szenarienentwicklung zur Strategieentwicklung begangen. Im letzten Drittel des Workshops wurden Ziele und Handlungsempfehlungen gegenüber den Adressaten, den Vereinten Nationen, der Europäischen Union, der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft formuliert, um so die empirischen Erkenntnisse der Vortage und die Vorausschau in konkretes, zukunftsgewandtes politisches Handeln zu übersetzen.

5 Fazit

Das Bonn Future Lab on Strategic Foresight „Climate Change and Security“ konnte zwischen den über 30 jungen Teilnehmer*innen, den über zwanzig hochrangigen internationalen und interkontinentalen Expert*innen sowie bis zu fünfzig lokalen und regionalen Wissenschaftler*innen und Gästen einen tiefgehenden fachlichen Austausch befördern, der den Teilnehmer*innen breite Vernetzungsmöglichkeiten bot. Darüber hinaus haben die Workshop-Teilnehmer*innen aus verschiedenen deutschen Organisationen und Institutionen wie der Studienstiftung des deutschen Volkes, der Hanns-Seidel-Stiftung, dem Evangelischen Studienwerk, der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Polis180, dem Wuppertal Institut, der TU Chemnitz, der Jungen Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und dem Zentrum für Europäische Integrationsforschung in Form des intensiven Strategic Foresight-Workshops in Zusammenarbeit mit den Expert*innen des DLR-Projektträgers relevante Kompetenzen im Bereich der strategischen Vorausschau und Szenarienentwicklung erworben, ihre persönlichen Netzwerke erweitert und verdichtete Informationen aus aller Welt zum wichtigen Nexus von Klima und Sicherheit erhalten. Fortsetzung findet dieser Auftakt der Initiative „Bonn Future Lab“ 2023 mit dem Arbeitstitel „Global Energy Transitions“.Footnote 4