Ukraine-Krise

Macron vs. Scholz: Unterschiedliche Strategien in der Ukraine-Krise
Samstag, 09.03.2024 | 10:56
Die Ukraine-Krise hat die deutsch-französischen Beziehungen auf eine harte Probe gestellt
Getty Images / Chesnot / Kontributor Die Ukraine-Krise hat die deutsch-französischen Beziehungen auf eine harte Probe gestellt
  • FOCUS-online-Gastautor

Die Ukraine-Krise hat die deutsch-französischen Beziehungen auf eine harte Probe gestellt. Landry Charrier, Experte für deutsch-französische Beziehungen, analysiert die Positionen von Bundeskanzler Olaf Scholz und Präsident Emmanuel Macron.

Wo stehen wir knapp zwei Wochen nach der Ukraine-Unterstützungskonferenz in Paris?

Die Divergenzen bleiben. Annalena Baerbock und Stéphane Séjourné haben sich zwar in den vergangenen Tagen um Schadensbegrenzung bemüht, doch im Kern hat sich nichts am deutsch-französischen Dissens geändert. Macron hat es in Prag (5. März) noch einmal sehr deutlich gemacht: „Wir stehen gewiss vor einem Moment in unserem Europa, in dem es darauf ankommen wird, nicht feige zu sein“, sagte der Präsident. Jeder wusste, an wen die Botschaft sich richtete. Dass Macron sich eine Woche nach der Ukraine-Konferenz nach Prag begab, hatte Signalwirkung. Der Präsident und sein tschechischer Amtskollege Petr Pavel stehen auf einer Linie, was die Entsendung militärischen Personals in die Ukraine angeht.

Macron unterstützt zudem nun auch die Initiative Tschechiens zur Beschaffung von Munition in Drittländern. Das war nicht selbstverständlich, denn der Präsident hatte sich lange gegen einen solchen Schritt gesperrt. Sein Argument: wer nicht europäisch kauft, „bereitet die Probleme von morgen vor“ (Bratislava, 31. Mai 2023). Doch seitdem klar ist, dass die Ukraine ohne US-Hilfen auskommen muss, hat er sich viel bewegt. Der „changement d‘ère“, von welchem er zu Beginn des Krieges sprach, ist vollzogen – es geht jetzt darum, ihn zu vollenden.

Welche Rolle soll Deutschland in diesem Prozess spielen?

Zuerst keine. Macron setzt nun voll und ganz auf die ost- und mitteleuropäische Karte. Bereits in seiner Rede auf dem Globsec-Forum in Bratislava hatte er einen Kurswechsel in Frankreichs Außenpolitik in Aussicht gestellt. Der Krieg hat ihn beschleunigt. Die Irritationen, die Macron bei Pavel verursacht hatte, als er mitten im tschechischen Wahlkampf den Oppositionsführer und ehemaligen Premierminister Andrej Babiš empfangen hatte, sind jetzt vom Tisch.

Ein breitaufgestellter polnisch-französischer Kooperationsvertrag ist in Vorbereitung und mit Kaja Kallas teilt der französische Präsident eine grundsätzliche Überzeugung, nämlich dass Europa einen „kollektiven Schrittwechsel“ vornehmen und einen schuldenfinanzierten Rüstungsfonds auflegen muss. Das kommt gut an, wie eine vor kurzem veröffentlichte Studie des Visegrad-Fonds und des Prager Instituts für Internationale Beziehungen es belegt. Scholz hatte in seiner Europarede in Prag am 31. August 2022 eine Annäherung an Ost- und Mitteleuropa ebenfalls versprochen. Doch er ist mitten auf dem Weg stehen geblieben. Macron nutzt das gnadenlos aus.

Auffällig ist zudem der semantische Wandel, den der französische Präsident in den vergangenen Wochen durchgemacht hat. Auch das unterscheidet ihn stark von Olaf Scholz.

Macron ist redegewandt: Bei ihm muss man sehr aufmerksam zuhören und auf jedes Wort ganz genau achten. Das ist in der Vergangenheit nicht immer der Fall gewesen, was nicht selten zu Kontroversen geführt hat. Während der Präsident noch vor einigen Wochen von einem „Krieg vor unseren Toren“ sprach, spricht er nun von einem Krieg „mitten in Europa“. Europa stehe an einem „Kipppunkt“, an welchem seine Sicherheit sich entscheiden werde: Russland müsse den Krieg verlieren (man merke, nicht mehr „Russland darf den Krieg nicht gewinnen“).

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Bundeskanzler Scholz ist noch weit davon entfernt. Auch dies schadet seinem Ruf in Europa – trotz der massiven Unterstützung, die Deutschland für die Ukraine leistet. Die Sprache ist für Macron zu einem Instrument der Abschreckung geworden, mit welcher Stärke demonstriert und Druck – nicht zuletzt auf Deutschland – gemacht werden soll.

Über den Experten Landry Charrier

Landry Charrier
Landry Charrier

Landry Charrier ist Mitglied der CNRS-Forschungseinheit SIRICE (Sorbonne, Paris), Associate Fellow am Global Governance Institute (Brüssel) sowie am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn). Seine Schwerpunkte sind die deutsch-französischen Beziehungen im globalen Kontext sowie Frankreichs Außen- und Sicherheitspolitik. Er ist Ko-Produzent des Frankreich-Podcasts Franko-viel und seit März 2023 Redaktionsleiter der deutsch-französischen Zeitschrift dokdoc.

 

Was trennt Scholz und Macron voneinander?

Zwei aufeinanderfolgende Besuche stehen aus meiner Sicht exemplarisch für den Stand der deutsch-französische Beziehungen.

Am 21. Januar kam Emmanuel Macron nach Berlin und gedachte in einer zum größten Teil auf Deutsch gehaltenen Rede des überzeugten Europäers Wolfgang Schäuble. Der Präsident kündigte bei der Gelegenheit „ein neues Danach“ an – den Beginn eines Kapitels europäischer Geschichte – und erinnerte an Schäubles „Engagements“ für einen NATO-Beitritt der Ukraine: einen Wink an den Bundeskanzler. Letzterer hatte sich auf dem NATO-Gipfel in Vilnius (11.-12. Juli 2023) zusammen mit Joe Biden gegen eine schnelle Aufnahme des Landes in die Allianz ausgesprochen, während Macron darauf pochte, den Beitritt zu „konkretisieren“.

Wenige Tage nachdem der französische Präsident im Bundestag gesprochen hatte, reiste der Bundeskanzler in die USA. Dort drang er auf ein neues Militär-Hilfspaket für die Ukraine und mahnte in einem Gespräch mit Journalisten, das Land sei ohne US-Unterstützung verloren. In diesen beiden Besuchen steckt im Grunde genommen (fast) alles, was die beiden voneinander trennt. Plakativ gesagt: Der eine setzt voll und ganz auf die europäische Karte, während der andere die USA weiterhin als Schutzmacht Europas sieht.

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Die Spannungen zwischen beiden Ländern haben sich in den vergangenen Tagen verschärft. Wie geht es nun weiter?

Seitdem Emmanuel Macron die Zeit der „fruchtbaren Konfrontration“ ausgerufen hat (Sommer 2019), werden die Konflikte, die sich sonst hinter verschlossenen Türen abspielten, öffentlich ausgetragen. Das hat nicht selten den Eindruck erweckt, Deutschland und Frankreich können nicht mehr miteinander. Doch die Geschichte zeigt, dass sie nach einer Phase der Entfremdung immer zueinander wiederfanden. Auch das ist eine Konstante in den deutsch-französischen Beziehungen.

Macron hat es allerdings diesmal sehr weit treiben lassen, ein Zeichen wachsender Nervosität in einer Zeit, in der er mehr denn je auf den Bundeskanzler angewiesen ist. Denn er weiß: Ohne Deutschland wird sich der Traum von europäischer Souveränität nicht realisieren lassen. Vieles spricht dennoch dafür, dass der von Macron ersehnte Wandel noch lange auf sich warten lassen wird: bis zum 5. November 2024, wenn Donald Trump wiedergewählt wird; noch später, wenn Biden das Rennen für sich entscheidet.

Es wird immer wieder betont, Deutschland und Frankreich haben unterschiedliche strategische Kulturen. Wie manifestiert sich dies im Kontext des Krieges in der Ukraine?

Frankreich denkt strategisch, in großen Zeitkategorien. Zusammen mit de Gaulle ist Macron sicherlich der Präsident, der diese Tradition am besten verkörpert. Im Gegensatz zum Bundeskanzler, der dem Primat der Innenpolitik unterliegt, braucht er zudem keine Rücksicht auf das Parlament zu nehmen, zumindest in der Außen- und Sicherheitspolitik. Das verleiht ihm einen Spielraum, den er voll ausgenutzt hat. Das kann der Bundeskanzler nicht.

Hinzu kommt, bei Scholz, eine bis ins Extreme getriebene Politik der Anlehnung an die USA und eine Unwilligkeit, wenn nicht Unfähigkeit, die Welt von morgen zu denken: „Wir lösen die Probleme in der Reihenfolge, in der sie auftreten“, sagte der Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt im August 2023. Das macht die Zusammenarbeit in Ausnahmesituationen nicht einfacher.

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Experte für deutsch-französischen Beziehungen sowie Frankreichs Außen- und Sicherheitspolitik

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