Einseitiger AppellMut zur "weißen Flagge"? Der Papst schadet den eigenen, berechtigten Anliegen

Kriege enden immer entweder durch vollständige Unterwerfung der einen Seite oder durch Vergleich. Die Äußerungen des Papstes sind als Weckruf zu verstehen, dass der gegenwärtige Krieg in der Ukraine sich jederzeit zu einem Flächenbrand ausweiten kann. Sich beim Friedensappell indes nur an eine Seite, das Opfer der Aggression, zu wenden und den Aggressor bei der Ansprache auszusparen, ist ein schwerer Fehler.

Papst Franziskus
© Unsplash

Seit Langem hat eine Papstaussage nicht mehr so viel Widerspruch ausgelöst wie das Interview, das Papst Franziskus dem Sender "Radiotelevisione Svizzera Italiana" gegeben hat. Es war vor allem der Satz, die Ukraine möge den Mut zur "weißen Flagge" haben und den gegenwärtigen Krieg gegen Russland beenden, der weithin irritiert. Der Beifall kam, wenn überhaupt, von der falschen Seite: Linkspartei, AfD, Sahra Wagenknecht. Die Ukraine drückte ihre diplomatische Missbilligung aus, indem sie den Apostolischen Nuntius einbestellte. Auch die gestrige Erklärung von Kardinalstaatssekretär Parolin konnte die Wogen nur mühsam glätten. Seine Aussage, dass die Grundvoraussetzung für den Frieden in der Ukraine ein Ende der Kampfhandlungen sei, ist so allgemein wie richtig. Seine Interpretation, der Papst habe mit der Aussage nur auf die Gefahr einer weiteren Eskalation hinweisen wollen – eine Spirale, in der auch die nukleare Option zum Einsatz kommen könnte – ist eine wohlmeinende Auslegung, die sich nicht zwangsläufig aus dem tatsächlich Gesagten ergibt.

Der Papst will einen Verhandlungsfrieden

So missverständlich die Äußerung von Papst Franziskus war, sie liegt auf der Linie seiner bisherigen Einlassungen und seinem Eintreten für einen Verhandlungsfrieden.

Dem diente schon im Juli 2023 die diskrete Friedensmission seines Emissärs, dem Vorsitzenden der italienischen Bischofskonferenz und Erzbischofs von Bologna, Kardinal Matteo Maria Zuppi. Wenn er von Papst Franziskus im Sommer 2023 beauftragt worden war, in Absprache mit dem Staatssekretariat, eine Mission zu leiten, die Spannungen im Konflikt mit der Ukraine abzubauen, dann ist dies zunächst eine klassische Aufgabe der päpstlichen Diplomatie. Mit bona officia werden im Völkerrecht die diplomatischen und humanitären Initiativen, insbesondere der neutralen Staaten während eines bewaffneten Konfliktes, bezeichnet. Seit der gescheiterten Friedensmission von Papst Benedikt XV. im Ersten Weltkrieg und der schon deutlich vorsichtiger agierenden Friedensdiplomatie im Pontifikat von Pius XII., der "Friede als Werk der Gerechtigkeit" zu seinem Leitspruch gewählt hatte, agiert der Heilige Stuhl in Friedensfragen sehr zurückhaltend.

In der Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes" über die Kirche in der Welt von heute des Zweiten Vatikanischen Konzils wird im Hauptteil in Kapitel V, das der Förderung des Friedens und dem Aufbau der Völkergemeinschaft gewidmet ist, Frieden definiert als "Werk der Gerechtigkeit" (Jes 32, 17) und "Frucht der Ordnung, die ihr göttlicher Gründer selbst in die Menschheit eingestiftet hat und die von den Menschen durch stetes Streben nach immer vollkommenerer Gerechtigkeit verwirklicht werden muss". Jede Kriegshandlung, die auf die Vernichtung ganzer Städte oder weiterer Gebiete und ihrer Bevölkerung unterschiedslos abstellt, ist, so Papst Franziskus, ein "Verbrechen gegen Gott und gegen die Menschen".

Die Diplomatie braucht mehr denn je im gegenwärtigen Konflikt eine Chance. Der Papst hat der vatikanischen Diplomatie und seiner möglichen persönlichen Rolle als Friedensstifter mit der Aussage keinen guten Dienst erwiesen.

Kriege enden immer entweder durch vollständige Unterwerfung der einen Seite oder durch Vergleich. Die Äußerungen des Papstes sind als Weckruf zu verstehen, dass der gegenwärtige Krieg in der Ukraine sich jederzeit zu einem Flächenbrand ausweiten kann. Sich beim Friedensappell indes nur an eine Seite, das Opfer der Aggression, zu wenden und den Aggressor bei der Ansprache auszusparen, ist ein schwerer Fehler. Die Stellungnahme der deutschen Bischöfe, die diese Äußerung als "unglücklich" einschätzten, ist in ihrer diplomatischen Sprache angemessen und schon für sich bemerkenswert. Die Diplomatie braucht mehr denn je im gegenwärtigen Konflikt eine Chance. Der Papst hat der vatikanischen Diplomatie und seiner möglichen persönlichen Rolle als Friedensstifter mit der Aussage keinen guten Dienst erwiesen.

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