1. Nachrichten
  2. Politik
  3. „Putins Politik ist selbstmörderisch“: Experte glaubt an Zusammenbruch Russlands

Angriffskrieg gegen die Ukraine: „Putins Politik ist selbstmörderisch“: Experte sagt Zusammenbruch Russlands voraus
  • E-Mail
  • Teilen
  • Mehr
  • Twitter
  • Drucken
  • Fehler melden
    Sie haben einen Fehler gefunden?
    Bitte markieren Sie die entsprechenden Wörter im Text. Mit nur zwei Klicks melden Sie den Fehler der Redaktion.
    In der Pflanze steckt keine Gentechnik
    Aber keine Sorge: Gentechnish verändert sind die
Eine Frau weint, während sie zusammen mit anderen auf die Verteilung von Lebensmitteln in dem ukrainischen Dorf Motyschyn wartet, das bis vor kurzem unter der Kontrolle des russischen Militärs stand.
Vadim Ghirda/AP/dpa Eine Frau weint, während sie zusammen mit anderen auf die Verteilung von Lebensmitteln in dem ukrainischen Dorf Motyschyn wartet, das bis vor kurzem unter der Kontrolle des russischen Militärs stand.
  • FOCUS-online-Chefreporter

Wann endet Putins barbarischer Feldzug in der Ukraine? Was muss der Westen jetzt wirklich tun? Und wie könnte eine Friedenslösung aussehen? Im Gespräch mit FOCUS Online beantwortet der Bonner Politikwissenschaftler Prof. Andreas Heinemann-Grüder (64) die wichtigsten Fragen zum russischen Angriffskrieg und die massiven Folgen für die Sicherheit, Wirtschaft und Politik in ganz Europa.

Mehr als sechs zermürbende, qualvolle Kriegswochen liegen hinter den Menschen in der Ukraine. Sechs Wochen, in denen die russische Armee Städte und Dörfer zerbombt, Hunderte Zivilisten brutal ermordet und Millionen in die Flucht getrieben hat.

Die Auswirkungen des Angriffs, initiiert vom verbrecherischen Kreml-Führer Wladimir Putin, haben nicht nur in der Ukraine unermessliches Leid und irreparable Schäden verursacht. Putin hat ganz Europa an den Abgrund gebracht und die Weltgemeinschaft in eine tiefe Krise gestürzt.

Sechs Wochen Krieg: Sehnsucht nach Waffenstillstand

Die jüngsten Bilder aus Butscha, wo russische Soldaten ein Massaker an unschuldigen, unbewaffneten Männern, Frauen und Kindern angerichtet haben, führten die ganze Brutalität des Krieges und die Gewissenlosigkeit von Putins Truppen noch einmal deutlich vor Augen. Menschen überall auf der Welt fragen sich: Wann hat das Blutvergießen endlich ein Ende? Wie kann es zu einem Waffenstillstand und letztlich zu einer Friedenslösung kommen? Und wie könnte die konkret aussehen?

Über diese Fragen sprach FOCUS Online mit dem Politikwissenschaftler Andreas Heinemann-Grüder (64) vom International Centre for Conflict Studies in Bonn. Die Forschungsschwerpunkte des Professors liegen unter anderem in der Friedens- und Konfliktforschung und auf autoritären politischen Regimen.

Politikwissenschaftler: Ukraine könnte Rumpfstaat werden

Seiner Einschätzung nach ist ein schnelles Ende des Krieges nicht absehbar. „Ein Waffenstillstand bzw. ein Verhandlungsfrieden wird erst wahrscheinlich, wenn beide Parteien erschöpft sind und die Ukraine so sehr ums Überleben ringt, dass sie fast alles zu unterschreiben bereit ist.“ Ein mögliches Szenario: „Die Ukraine könnte international verbindliche Sicherheitszusagen und möglicherweise den Status Finnlands erhalten, Russland wiederum im Gegenzug die Anerkennung der Krim sowie der Donezker und Lugansker ‚Volksrepubliken‘. Im besten Fall kann die Ukraine wichtige Abschnitte am Schwarzen Meer halten und als Rumpfstaat fortexistieren.“

Prof. Andreas Heinemann-Grüder vom Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (Cassis) in Bonn.
BICC Prof. Andreas Heinemann-Grüder vom Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (Cassis) in Bonn.

Der Politikwissenschaftler zu FOCUS Online: „Eine solche Lösung würde den militärischen Status quo mit einer Demarkationslinie zwischen der Ukraine und den von Russland besetzten Gebieten festschreiben, die dann möglicherweise durch internationale Truppen oder Beobachter überwacht wird.“ Einschränkend sagte er: „Niemand kann der Ukraine allerdings von außen vorschreiben, was sie ‚schlucken‘ soll oder gar muss“.

China kommt zentrale Rolle zu: „Machtvoller Mediator“

Einen entscheidenden Beitrag zum Gelingen von Friedensverhandlungen könnte nach Auffassung des Experten China leisten. „Wenn es jemanden gibt, der in diesem Konflikt die Rolle eines machtvollen Mediators übernehmen kann, dann ist das China – die einzige Macht, auf die Putin hört.“ Diesen Umstand sollte der Westen gezielt nutzen. „Wir sollten alles tun, um die Spannungen zwischen Russland und China zu vertiefen. China würde Gewinn daraus ziehen, dass Russland geschwächt aus dem Krieg hervorgeht“, so Andreas Heinemann-Grüder.

Sollte es keine Einigung auf dem Verhandlungsweg geben, blieben nur drei Wege übrig. „Der Krieg kann durch einen Sieg Russlands, die Erschöpfung der Kriegsparteien oder durch Zerfall des Putin-Regimes enden“, sagte der Politikwissenschaftler zu FOCUS Online. „Russland setzt auf Eskalation, um die Ukraine zur Kapitulation zu zwingen und zunehmend, um eine schmachvolle Niederlage zu vermeiden“, so der Professor. Mit einem Vernichtungskrieg sollten die Bevölkerung zermürbt, eine Massenflucht ausgelöst und ukrainische Truppen liquidiert werden. „Ein russischer Sieg würde nicht nur unermessliches Leid bedeuten, sondern dauerhaft Russlands Isolation nach sich ziehen.“

Westen muss schnell, geschlossen und konsequent handeln

Sollte Putin am Ende die Oberhand behalten, hätte das fatale Konsequenzen für die Ukraine. „Russlands Sieg wäre ein Pyrrhussieg, nur mit Terrorherrschaft zu stabilisieren.“

Der Westen sollte unterdessen seine bisherige Strategie weitgehend beibehalten, seine Kräfte dabei aber noch stärker bündeln. „Der Westen muss sein gesamtes Repertoire rasch zum Einsatz bringen, andernfalls werden durch die Kriegsfolgen unabsehbare Schäden für die Sicherheit, Wirtschaft und Politik in ganz Europa entstehen. Entschiedene Maßnahmen heute reduzieren künftige Kosten“, warnt der Experte.

Eine Frau im Bademantel steht in Odessa neben einem Auto während im Hintergrund nach Beschuss der Stadt Rauch aufsteigt.
Petros Giannakouris/AP/dpa Eine Frau im Bademantel steht in Odessa neben einem Auto während im Hintergrund nach Beschuss der Stadt Rauch aufsteigt.

„Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz aus Sanktionen, Waffenlieferungen, Isolation Russlands, Wirtschaftshilfe und Energiesicherheit für die Ukraine sowie einer konkreten Aussicht auf EU-Mitgliedschaft der Ukraine. Wir brauchen auch eine gemeinsame Cyberstrategie mit der Ukraine.“ In Deutschland und anderen EU-Staaten würden die russischen Einflussagenten bislang unterschätzt, so Andreas Heinemann-Grüder. „Zudem muss mit einer konzertierten Medienstrategie der russischen Desinformation über soziale Netzwerke und Suchmaschinen in Russland entgegengewirkt werden.“

Deutschland kann im Kampf gegen Putin noch mehr tun

Auch die deutsche Wirtschaft könnte noch mehr tun, um Putin zum Einlenken zu bringen. „Jene deutschen Unternehmer, die über Jahre hinweg mit Russen intensiven Austausch pflegten, sollten ihre Partner auffordern, sich für eine schnelle Kriegsbeendigung einzusetzen. Eine Distanzierung von Putins Krieg in der Gegenwart kann die künftigen Aussichten beeinflussen, von den Sanktionen befreit zu werden“, glaubt der Politikwissenschaftler. „Außerdem könnten russische Wehrdienstverweigerer Schutz in Deutschland bekommen.“

Der Konfliktforscher betonte im Gespräch mit FOCUS Online: „Die Waffenlieferungen sind elementar für die Durchhaltefähigkeit der Ukraine. Die Bundesregierung sollte mit allen verfügbaren Mittel dazu beizutragen, Russlands Krieg gegen die Ukraine in den nächsten zwei bis drei Monaten zu beenden und eine militärische Niederlage der Ukraine abzuwenden“.

Sanktionen werfen Russland wirtschaftlich massiv zurück

Die wirtschaftlichen Sanktionen seien für Russland zwar „extrem schmerzhaft“, trügen aber nicht unmittelbar zur Beendigung des Leids und zum russischen Einlenken bei.

„Die Sanktionen werfen Russland auf den prekären Stand der frühen 1990-er Jahre zurück. Alle materiellen Grundlagen, auf denen Putins Macht in Russland gründete, werden untergraben“, erklärt der Experte. „Der russische Petro-Staat (ein Staatsmodell, dessen Wohlergehen allein auf Erdöl und Erdgas gründet, die Redaktion) wird infolge der Sanktionen zusammenbrechen. Putins Politik wird sich als selbstmörderisch für sein Land erweisen. Seine Ära wird mit dem Kollaps dessen enden, was er mehr als zwei Jahrzehnte lang erreichen wollte.“

Eine Nachbarin tröstet Natalja, deren Ehemann und Neffe von russischen Streitkräften in Butscha getötet wurden.
Vadim Ghirda/AP/dpa Eine Nachbarin tröstet Natalja, deren Ehemann und Neffe von russischen Streitkräften in Butscha getötet wurden.

Seit langem bittet der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Westen eindringlich um militärische Hilfe, die über reine Waffenlieferungen hinausgehen. Doch die Nato lehnt dies kategorisch ab, darunter die von Selenskyj mehrmals geforderte Flugverbotszone. Nach Ansicht von Professor Heinemann-Grüder gibt es jedoch andere Möglichkeiten, den Menschen im Kampfgebiet zu helfen. „Die zügige Einrichtung international überwachter Schutzzonen in der Ukraine kann die Zahl ziviler Opfer mindern. Schutzzonen können Leben retten, Leid mindern, Menschen dichter an ihrer Heimat schützen und Zeit für Verhandlungen schaffen.“

Mit diesen Maßnehmen lindert man Leid von Zivilisten

Der Experte: „Entmilitarisierte Zonen, Pufferzonen, Deeskalationszonen und humanitäre Korridore tragen dazu bei, Gewalt bzw. ihre Intensität zu reduzieren. Die Vereinbarung von Deeskalationszonen kann zum Ausschluss von bestimmten Waffentypen führen.“ Hinsichtlich des deutschen Beitrags schlägt er vor: „Im Rahmen der Vereinten Nationen sollte sich die Bundesregierung auch für eine UN-Sicherheitszone in der westlichen Ukraine einsetzen, die frei von Kampfhandlungen gehalten wird.“

Wissen zum Ukraine-Krieg: Russland unter Putin

Im Video: Plötzlich spricht Johnson Russisch: „Ich glaube nicht, dass er in Ihrem Namen handelt“

FOCUS online/Wochit Im Video: Plötzlich spricht Johnson Russisch: „Ich glaube nicht, dass er in Ihrem Namen handelt“

Im Video: Französischer Außenminister: „Krieg hat drei Konsequenzen, die Putin nicht erwartet hat“

FOCUS online/Wochit Im Video: Französischer Außenminister: „Krieg hat drei Konsequenzen, die Putin nicht erwartet hat“
 
 
 
gös/
Zum Thema
Verbraucher werden immer ärmer - wie sich die Inflation jetzt stoppen lässt

Preissteigerungen bei Aldi, Ikea und Bier

Verbraucher werden immer ärmer - wie sich die Inflation jetzt stoppen lässt

Kiew will mit niedrigem Ölpreis russische Wirtschaft zerstören

Kriegsverlauf in der Ukraine im Ticker

Kiew will mit niedrigem Ölpreis russische Wirtschaft zerstören

Ukraine erobert Städte zurück: Verläuft Putins Krieg trotzdem genau nach Plan?

Analyse von Thomas Jäger

Ukraine erobert Städte zurück: Verläuft Putins Krieg trotzdem genau nach Plan?

Sie waren einige Zeit inaktiv, Ihr zuletzt gelesener Artikel wurde hier für Sie gemerkt.
Zurück zum Artikel Zur Startseite
Lesen Sie auch
Wie relevant ist das Commonwealth heute noch?

Wie relevant ist das Commonwealth heute noch?

Bei ihren Attacken landen die AfD-Gegner plötzlich auf seifigem Parkett

Eine Analyse von Ulrich Reitz

Bei ihren Attacken landen die AfD-Gegner plötzlich auf seifigem Parkett

Klitschko fürchtet „jederzeit“ neuen russischen Angriff auf Kiew

Stimmen zum russischen Angriff

Klitschko fürchtet „jederzeit“ neuen russischen Angriff auf Kiew

Scholz warnt vor schweren Kriegsfolgen: „Zerstörung von Zukunft“

Stimmen zum russischen Angriff

Scholz warnt vor schweren Kriegsfolgen: „Zerstörung von Zukunft“