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Europawahl: Was ein Rechtsruck in Frankreich für Deutschland und die EU bedeutet
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Rechtsruck in Frankreich: Rassemblement Nationals Aufstieg und die Folgen
Getty Images / Chesnot Rechtsruck in Frankreich: Marine Le Pen und ihre Partei Rassemblement National im Aufwind?
  • FOCUS-online-Gastautor
Dienstag, 20.02.2024, 11:05

Der Aufstieg der rechten Partei Rassemblement National verändert Frankreichs Politik und stellt EU-Beziehungen auf die Probe. Landry Charrier, Experte für deutsch-französische Beziehungen und Frankreichs Außen- und Sicherheitspolitik, analysiert die aktuellen politischen Bewegungen.

Wie beeinflusst der Aufstieg des Rassemblement National die politische Landschaft Frankreichs?

Eine Neukonfigurierung des rechten Lagers gehört schon lange zu den Zielen des Rassemblement National. Nun rückt sie immer mehr in den Bereich des Möglichen. Das liegt zum einen an den Rekordwerten, die die Partei in den Umfragen erzielt und sie für viele zu einem unumgänglichen Faktor des politischen Lebens erscheinen lässt; zum anderen am Kurs, den die bereits seit mehreren Jahren in Auflösung begriffenen Konservativen unter dem Hardliner Eric Ciotti führen.

Die 2022 von dem einwanderungs- und islamfeindlichen Journalisten und Polemiker Éric Zemmour gegründete Partei Reconquête hat sich zwar ebenfalls zum Ziel gesetzt, eine „Union der Rechten“ zu schaffen. Dafür hat sie allerdings nicht die notwendige Schlagkraft. Ein Zusammengehen mit dem Rassemblement National schien lange undenkbar – nicht zuletzt aufgrund der Rivalität zwischen Marine Le Pen und ihrer Nichte Marion Maréchal. Nun hat ein Satz von Maréchal vor wenigen Tagen aufhorchen lassen: Ich bin „der Meinung, dass man an der Schwelle zur Macht nicht alleine gewinnen kann“, das sei noch nie vorgekommen. Die Frage wird sich bei der Europawahl noch nicht stellen. Spätestens 2027 dürfte sie allerdings akut werden.    

Welche Akzente wird die Partei bei der Europawahl setzen?

Einen „Spitzenkandidaten“ hat der Rassemblement National bereits, den 28-jährigen Parteivorsitzenden Jordan Bardella; ein Programm noch nicht. Es ist aber zu erwarten, dass der RN die Wahl als Kampf der Souveränitäten stilisiert: auf der einen Seite die von Emmanuel Macron geforderte Europäische Souveränität, auf der anderen die vom RN gepredigte Rückkehr zur Nation. So gesehen wird es ihr leichtfallen, eine Niederlage von Renaissance, dem französischen Zweig der Fraktion Renew im Europäischen Parlament, als Scheitern des Präsidenten zu verkaufen. Das tut sie übrigens schon, indem sie gebetsmühlenartig wiederholt, es sei unausweichlich, die Partei werde die Wahl am 9. Juni haushoch gewinnen. Die letzten Umfragen scheinen ihr recht zu geben.

Über den Experten Landry Charrier

Landry Charrier
Landry Charrier

Landry Charrier ist Mitglied der CNRS-Forschungseinheit SIRICE (Sorbonne, Paris), Associate Fellow am Global Governance Institute (Brüssel) sowie am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn). Seine Schwerpunkte sind die deutsch-französischen Beziehungen im globalen Kontext sowie Frankreichs Außen- und Sicherheitspolitik. Er ist Ko-Produzent des Frankreich-Podcasts Franko-viel und seit März 2023 Redaktionsleiter der deutsch-französischen Zeitschrift dokdoc.

Doch der Wahlkampf hat noch gar nicht richtig angefangen. Stéphane Séjourné, der lange als „Spitzenkandidat“ von Renaissance gehandelt wurde, ist nun Außenminister. Einen Nachfolger gibt es noch nicht, zumindest offiziell.  An Anwärtern fehlt es nicht, doch solange der Name nicht steht und die inhaltliche Auseinandersetzung nicht angefangen hat, wird der RN leichtes Spiel haben. Die Franzosen brauchen starke Persönlichkeiten, die Ideen verkörpern und an welche sie sich „festklammern“ können.   

Welche Rolle spielt Deutschland in der Rhetorik des Rassemblement National, und warum?

Populisten brauchen Sündenböcke und Deutschland eignet sich aus historischen Gründen hervorragend dazu. Das Phänomen ist Teil eines Minderwertigkeitskomplexes, der auf den verlorenen Krieg von 1870/1871 zurückzuführen ist und seitdem die politischen Debatten begleitet, prägt oder sogar bestimmt. Für den RN ist es schon längst ein Schlüsselfaktor der parteipolitischen Strategie. Die Rede, die Marine Le Pen mitten in der Flüchtlingskrise (7.10.2015) im Europaparlament hielt – sie schmähte François Hollande als „Vize-Kanzler“ von Bundeskanzlerin Merkel – ist vielen in Erinnerung geblieben. Mit der Wahl des deutschlandfreundlichen Macron bekam das Phänomen neuen Aufwind, wie Le Pens Hetzkampagne gegen den Aachener Vertrag (22.01.2019) eindrücklich zeigte.

Seitdem werden antideutsche Ressentiments bemüht, wann immer die Situation es erfordert: bei schwierigen Reformen, in Krisenzeiten und wenn die Machtverhältnisse in der EU sich verschieben oder einer Neujustierung bedürfen. Jüngstes Beispiel: die kontrovers diskutierte Rentenreform, die vom Vorsitzenden der Partei, Jordan Bardella, als das Ergebnis eines von Brüssel bzw. Berlin orchestrierten „Komplotts“ dargestellt wurde.

Wie würde sich ein Erfolg der Partei bei der Präsidentschaftswahl 2027 auf die deutsch-französischen Beziehungen auswirken?

Ein Erfolg des RN bei der Präsidentschaftswahl 2027 hätte äußert negative Konsequenzen für die deutsch-französischen Beziehungen. Marine Le Pen hat es bereits im Präsidentschaftswahlkampf 2017 sehr deutlich gemacht. Im Wahlkampf 2022 hat sie das Thema wieder aufgegriffen und Deutschland vorgeworfen, für „die absolute Verneinung der französischen strategischen Identität“ zu stehen. Im Falle eines Sieges wolle sie allen laufenden Projekten ein Ende setzen – nicht zuletzt im Rüstungsbereich – und auf andere zugehen: Orban und – das sagt sie allerdings seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine nicht mehr offen – Putin.

Das destruktive Potential dieses Diskurses wird von vielen unterschätzt. Man gibt sich gerne der Illusion hin, die deutsch-französische Freundschaft sei ein Acquis für die Ewigkeit. Dabei reicht einen Blick auf die französische Parteienlandschaft. La France insoumise, Rassemblement National, Reconquête: all diese Parteien stehen für einen deutschfeindlichen Kurs. Zusammen kommen sie in den letzten Umfragen auf ca. 45% der Stimmen.

Der Rassemblement National und die AfD sitzen im EU-Parlament in der ID-Fraktion. Nach den Berichten über das Potsdamer Geheimtreffen mit Rechtsextremen von der Partei distanzierte sich aber Marine Le Pen öffentlich von ihr. Warum?

Die Zeiten, in den der Front National – heute Rassemblement National – mit einem Franz Schönhuber kokettierte, sind endgültig vorbei. Seitdem Marine Le Pen die Zügel der Partei in die Hand genommen hat (2011), arbeitet sie mit Hochdruck daran, sie vom Antisemitismus und Radikalismus ihres Vaters zu befreien. Sie wird mitbekommen haben, dass in Deutschland schon lange darüber diskutiert wird, ob ein Verbotsverfahren gegen die AfD eingeleitet werden soll. Der Eklat um das Potsdamer Geheimtreffen bot ihr eine gute Gelegenheit, sich vom „unbequemen Partner“ zu distanzieren: mitten im Europawahlkampf und zu einem Zeitpunkt, zu dem die Zusammensetzung der beiden rechtsextremistischen Fraktionen – EKR und ID – genau beobachtet wird. Sie in Verbindung mit einer Partei wie der AfD zu bringen, die über „Deportationen“ nachdenkt, hätte am Ende dem Image, das sie sich über die Jahre gebaut hat, schaden können.

Marine Le Pen hat in der Vergangenheit offen ihre Bewunderung für den russischen Staatschef zum Ausdruck gebracht und die Außenpolitik Moskaus verteidigt. Was sagt sie nun über Russland, Putin und den Krieg gegen die Ukraine?

Marine Le Pen hält sich weitgehend bedeckt und äußert sich nur noch selten zu außenpolitischen Fragen. Sie hat erkannt: Putin könnte auf ihrem Weg in den Élysée-Palast zu einem Problem werden. Als sie im Juni 2023 vor einer Untersuchungskommission „über die politische, wirtschaftliche und finanzielle Einmischung ausländischer Mächte“ zu ihren Russlandverbindungen befragt wurde und sie sich nochmal zur Annexion der Krim äußern musste, konnte sie nur mit Mühe den Schaden von sich wenden. Nun arbeitet sie nur noch mit kleinen Versuchsballons: Im Kontext der Bauernproteste sprach sich Jordan Bardella auf einmal gegen die Aussetzung der EU-Zölle auf ukrainische Exporte aus. Im selben Atemzug machte er deutlich: Er sei gegen einen EU-Beitritt der Ukraine und für Friedensverhandlungen. Konkrete Vorschläge legte Bardella allerdings nicht vor, denn er weiß: Sie wären Anlass für Diskussionen gewesen, die am Ende der Partei auf die Füße gefallen wären. 

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Vor wenigen Tagen hat Donald Trump mit seinen NATO-Äußerungen hohe Wellen geschlagen. Wie steht Marine Le Pen zur Allianz?

Äußerst kritisch. Dazu hat sie sich in ihrem Wahlkampfprogramm 2022 unmissverständlich geäußert: Frankreich müsse aus der integrierten militärischen Kommandostruktur der NATO wieder austreten, seine Beziehungen zu den USA neu konfigurieren und eine „strategische Annäherung“ zwischen der NATO und Russland in die Wege leiten. Damit steht sie nicht allein. Eric Zemmour geht einen Schritt weiter und macht sogar die NATO für den Krieg verantwortlich. NATO-feindliche Äußerungen finden sich aber auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums, bei der linksextremistischen France insoumise. Im Präsidentschaftswahlkampf 2022 hat sich Jean-Luc Mélenchon mehrfach für einen Austritt aus der NATO, ein bündnisfreies Frankreich und gegen eine europäische Sicherheitspolitik und Verteidigungspolitik ausgesprochen. Aus diesen Themen lässt sich allerdings momentan kein politisches Kapital schlagen. Die ganze Aufmerksamkeit liegt und wird von ihnen gezielt auf innenpolitische Probleme gelenkt.     

Wie könnte ein potenzieller Sieg des Rassemblement National bei der Europawahl die EU-Politik Frankreichs verändern?

Ein Wahlsieg des Rassemblement National hätte keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Kurs von Staatspräsident Emmanuel Macron, zumindest inhaltlich. Frankreichs Glaubwürdigkeit in Europa würde aber Schaden davontragen, was am Ende Macrons Handlungsfähigkeit einschränken könnte. Innenpolitisch dürfte die Arbeit der auf die Stimmen der Opposition angewiesene Regierung noch komplexer werden, der Ruf nach einer Auflösung der Assemblée Nationale noch stärker.

Nach der Europawahl wird die Kommunalwahl 2026 ein weiterer Testlauf für den Rassemblement National sein. Jordan Bardella hat bereits letztes Jahr angekündigt, Le Havre, die Stadt des ehemaligen Premierministers und jetzigen Bürgermeisters Édouard Philippe, einnehmen zu wollen. Philippe, der sich in den vergangenen Wochen vorsichtig in Stellung gebracht hat, gilt für viele als möglicher Nachfolger des Präsidenten. Ein Sieg des Rassemblement National in Le Havre hätte daher große Signalwirkung.

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Dieser Text stammt von einem Expert aus dem FOCUS online EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Themenbereich und sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.

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