Der EU droht künftig Einflussverlust im Südkaukasus

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Im armenischen zivilgesellschaftlichen Diskurs werde der EU vorgeworfen, durch ihre monatelange Untätigkeit diese menschliche Katastrophe mit herbeigeführt zu haben, schreibt Shushanik Minasyan. [EPA-EFE/NAREK ALEKSANYAN]

Die jüngsten Ereignisse in Berg-Karabach, könnten der EU die wichtige Unterstützung der armenischen Bevölkerung kosten. Es drohe eine ähnliche Umorientierung nach Russland, wie es bereits mit Georgien geschehen sei, schreibt Shushanik Minasyan.

Shushanik Minasyan ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn.

Die Evakuierung der ethnisch armenischen Bevölkerung aus Berg-Karabach dauert seit Tagen an. Viele Menschenrechtler warnen vor drohenden ethnischen Säuberungen für die Armenier, die Berg-Karabach aus verschiedenen Gründen noch nicht verlassen können.

Viele der zurückbleibenden Armenier sind nicht mobil und haben keine Möglichkeit, die Fahrt nach Armenien zu organisieren.

Zudem wird befürchtet, dass die aserbaidschanischen Streitkräfte zahlreiche Männer an der aserbaidschanisch-armenischen Grenze festnehmen werden, mit dem Vorwurf, Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Laut den Gerüchten hat Baku bereits eine inoffizielle „schwarze Liste“ mit ungefähr 300 Namen erstellt.

Die tragische Entwicklung markiert sicherlich nicht das Ende oder die Lösung des jahrzehntelangen Konfliktes. Gestärkt durch die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft stellt Aserbaidschan nun territoriale Ansprüche direkt an Armenien.

In dem bereits seit Monaten andauernden Chaos, das mit der Blockade von Berg-Karabach seitens Baku Ende 2022 begonnen hat, wird die Rolle der EU sehr kritisch diskutiert.

Der einst enorm starke zivilgesellschaftliche Rückhalt in Armenien gegenüber der EU lässt rigoros nach.

Im armenischen zivilgesellschaftlichen Diskurs wird der EU vorgeworfen, durch ihre monatelange Untätigkeit diese menschliche Katastrophe mit herbeigeführt zu haben.

So gibt es zum Beispiel eine massive öffentliche Kritik gegenüber den energiepolitischen Gesprächen der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit dem Regime von Aserbaidschan, bei denen die EU nach Alternativen von russischen Energielieferungen sucht.

Zudem werden Schuldzuweisungen an die unprofessionellen Friedenssicherungsbemühungen des Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, geäußert, der in den vergangenen Monaten die Verhandlungen zwischen Baku und Jerewan intensiv moderiert hat.

Die Verhandlungen endeten jedes Mal ausschließlich mit Zugeständnissen von Jerewan und ausgerechnet hier wird die große Verantwortung bei Brüssel gesehen.

Auch werden Parallelen zwischen der desaströsen Friedenspolitik des französischen Präsidenten Nikolas Sarkozy während des georgisch-russischen 5-Tage-Kriegs im Jahr 2008 gezogen. Seine Friedensgespräche bedeuteten damals für Georgien schmerzhafte Zugeständnisse.

Das Schwinden der gesellschaftlichen Akzeptanz in Armenien, die in den letzten Jahren den Demokratisierungskurs im Land stark mitgetragen hat, wird die Einflussräume der EU deutlich einschränken. Das Vertrauen in das normative Selbstbild der EU hat massiv gelitten.

Trotz der mehrfach artikulierten Willensbekundungen der armenischen Regierung, mit der EU näher zusammenzuarbeiten, könnte die Gesellschaft nun diese Prozesse mit einem entschiedenen Widerstand blockieren. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Russland die antieuropäische Stimmung ausnutzen wird.

Mit Blick auf die euroskeptische Haltung der georgischen Regierung der vergangenen Monate und deren Hinwendung an den russischen Nachbarn wird künftig die Bedeutung der EU als regionaler Akteur deutlich schwächeln. Denn Tiflis fühlt sich auch von Brüssel im Stich gelassen, da es geweigert hat, Georgien den Kandidatenstatus zuzuerkennen.

Die Stärkung des russischen Einflusses in der Region wird sicherlich auch dazu beitragen.

Der Kreml-Sprecher Peskow hat bereits angekündigt, direkte Gespräche mit Baku über die russischen Friedenstruppen in Berg-Karabach zu führen. Es ist anzunehmen, dass Russland sich für den Verbleib einiger weniger ethnischer Armenier in Berg-Karabach einsetzen wird, um den Friedenseinsatz zu verlängern.

Um die bereits erzielten Errungenschaften der Demokratisierung in Armenien und Georgien nicht zu verlieren, braucht die EU entschiedene normative Schritte, die die neue Realität in der Region reflektieren.

Die EU muss ihre Haltung sowie Kooperationsrahmen gegenüber den Partnern klar formulieren und diese konsequent umsetzen.

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