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Ukraine-Experte kritisiert Bundesregierung: „Scholz und Lambrecht handeln nach dem Sankt-Florian-Prinzip“
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    Aber keine Sorge: Gentechnish verändert sind die
Ukrainische Soldaten fahren auf einem gepanzerten Fahrzeug auf einer Straße in der Region Donezk im Osten der Ukraine.
Leo Correa/AP/dpa Ukrainische Soldaten auf einem gepanzerten Fahrzeug in der Region Donezk.
  • FOCUS-online-Chefreporter

Deutschland will eine militärische „Führungsmacht“ sein, versteckt sich im Ukraine-Krieg aber hinter den alliierten Partnern. Der Politikwissenschaftler Andreas Heinemann-Grüder kritisiert das Zögern und die fehlende Strategie der Bundesregierung scharf.

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Deutschland sei eine „Führungsmacht“, auch „im Militärischen“. Die Grundsatzrede von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) zur Nationalen Sicherheitsstrategie Anfang dieser Woche ließ aufhorchen, gerade vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges.

Denn nach Lambrechts klaren Worten stellt sich die Frage: Kann sich ein Land, das eine militärische Führungsrolle in Europa und der Welt beansprucht, weiter hinter den alliierten Partnern verstecken?

Oder müsste es als „Führungsmacht“ nicht auch schleunigst deutsche Schützen- und Kampfpanzer an die Ukraine liefern, um den Kampf der Ukrainer gegen die russischen Angreifer effektiv zu unterstützen?

Militärischer Führungsanspruch, aber keine „Alleingänge“

Lambrecht und Kanzler Olaf Scholz (SPD) haben diese Frage bereits beantwortet. Mit der Begründung, es werde „keine deutschen Alleingänge“ geben, lehnen sie es weiterhin ab, Kiew mit Marder- oder Leopard-Panzern zu helfen.

Dabei lassen sie sich auch nicht von den jüngsten militärischen Erfolgen der Ukrainer beeindrucken, die ohne westliche Waffen unmöglich gewesen wären. FDP, Grüne und CDU beißen mit ihrer Forderung nach mehr Waffenlieferungen bei der SPD auf Granit.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) auf einem Panzer im niedersächsischen Munster.
Philipp Schulze/dpa Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) auf einem Panzer im niedersächsischen Munster.

Der Politikwissenschaftler Andreas Heinemann-Grüder vom International Centre for Conflict Studies in Bonn kritisiert die zögerliche Haltung der Bundesregierung scharf und wirft Lambrecht „forsche Rhetorik“ vor.

„Deutschland muss Führung übernehmen, und zwar durch die zügige Lieferung von Panzern, die Ausbildung ukrainischer Soldaten, bei der Einrichtung von Schutzzonen, bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen und der diplomatischen Zusammenführung von Staaten des Südens“, so der Experte zu FOCUS online.

Experte: Deutschland wird auch in der Ukraine verteidigt

„Der künftige Status Deutschlands wird durch sein Verhalten in diesem Krieg entschieden“, glaubt Heinemann-Grüder. Denn Deutschland werde auch in der Ukraine verteidigt. „Fällt die Ukraine, wird der Verteidigungsfall umso wahrscheinlicher. Das Sondervermögen Bundeswehr wird heute am besten in der Ukraine investiert.“

Russland wolle die Ukraine zum „ewigen Vasallen“ machen, während die Ukraine um ihr Recht auf Selbstbestimmung kämpfe. „Putin erwartet, dass er im Zermürbungskrieg den längeren Atem hat und erst der Westen, dann die Ukraine aufgibt“, so der Experte. Dieses Szenario dürfe jedoch nicht eintreten.

Prof. Andreas Heinemann-Grüder vom Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (Cassis) in Bonn.
BICC Prof. Andreas Heinemann-Grüder vom Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (Cassis) in Bonn.

Der Professor wirft der Bundesregierung schwere Versäumnisse vor. „Nach wie vor soll das militärische Übergewicht Russlands nicht durch die Lieferung von Panzern, Kampfflugzeugen und Raketen, die Russland erreichen könnten, gestört werden“, sagt er.

Und weiter: „Obwohl die ukrainische Gegenoffensive demonstriert, wie schwer verwundbar Russlands Militär ist, handeln Scholz und Lambrecht nach dem Sankt-Florian-Prinzip: „Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andre an!“

Außerdem merkt er an: „Hätte Deutschland nach der Krim-Annexion 2014, seit Juli 2021, als Putin der Ukraine das Existenzrecht absprach, und nach dem Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 der Ukraine schwere Waffen geliefert, wäre Russland bereits gestoppt worden.“

Heinemann-Grüder: Nachgiebigkeit hat Putin gestärkt

Andreas Heinemann-Grüder glaubt, dass die Ukraine ohne Hilfe der USA und Großbritanniens „nicht mehr existieren“ würde. Zu deutschen Haltung sagte er: „Die Furcht vor russischer Eskalation, das Primat wirtschaftlicher Interessen und die Vorstellung, eine europäische Friedensordnung sei nur mit Russland denkbar, tragen weiterhin zu jener Nachgiebigkeit bei, die Putins Aggression ermöglicht hat.“

Zwar hege die deutsche Politik mittlerweile keine Illusionen mehr über Russlands Vernichtungskrieg, aber wie darauf reagiert werden soll, bleibe unbestimmt.

Das Buch über Wolodymyr Selenskyj:

Als Wolodymyr Selenskyj – bis dahin ein populärer Schauspieler und Comedian – 2019 überraschend die ukrainische Präsidentschaftswahl gewann, ging die Welt davon aus, dass er ein schwaches Staatsoberhaupt sein und sich vom Kreml mithilfe der Oligarchen leicht lenken lassen würde. Doch das Gegenteil war der Fall: Selenskyj erwies sich als Mann mit Rückgrat, als mutig und unbeugsam. Im Angesicht des russischen Überfalls auf die Ukraine wurde er zu einem wahren Staatsmann, der selbst seinen Feinden Respekt abringt.

Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers ist eine Strategie der Bundesregierung nicht erkennbar. „Deutschland will nicht in den Krieg hineingezogen werden, nicht erpressbar sein und die globalen Auswirkungen des Krieges eindämmen. Doch auf welche Art von Nachkriegsordnung, auf welchen Frieden will die Bundesregierung hinwirken?“, fragt Heinemann-Grüder.

Die Antwort darauf sei enorm wichtig. „Auf welches Szenario man hinarbeitet, beeinflusst, ob der Krieg mit oder gegen Putin zu einem Ende kommt.“

Düsteres Szenario: Russland gewinnt und stürzt Welt ins Chaos

Der Bonner Professor geht von zwei grundsätzlichen Szenarien aus. Im ersten Szenario verliert die Ukraine. „Russland eskaliert demnach den Krieg – mit Atomwaffen, der Freisetzung von Radioaktivität, massenhafter Vertreibung, der systematischen Zerstörung von Infrastruktur, einem Terrorregime in den besetzten Gebieten, mit der Kappung von Gaslieferungen und Hunger in Afrika als Waffe.“

Zugleich würde Russland die Welternährungskrise „nach Belieben verschärfen“ und Menschen, deren Existenz hierzulande durch Rezession bedroht ist, „mithilfe seiner Einflussagenten auf die Straßen westlicher Städte treiben“, so Heinemann-Grüder.

Anwohner versammeln sich im Zentrum des Dorfes Werbiwka, das von der ukrainischen Armee im Zuge der Gegenoffensive in der Region Charkiw von den russischen Angreifern befreit wurde.
Ukrinform/dpa Anwohner versammeln sich im Zentrum des Dorfes Werbiwka, das von der ukrainischen Armee im Zuge der Gegenoffensive in der Region Charkiw von den russischen Angreifern befreit wurde.

Seiner Überzeugung nach wird sich die Weltlage dadurch massiv verschärfen. Putins Regime werde ständig testen, ob es rote Linien im Westen gibt, die man überschreiten kann.

„Das russische Regime denkt nicht in Kategorien von Verflechtung, Interessenabgleich und Wahrung eines friedlichen Status quo, sondern folgt einem Null-Summen-Denken und dem bolschewistischen Motto: Jede Grenze, die nicht unmissverständlich gesetzt ist, bietet Gelegenheit zur Überschreitung.“

Der Konfliktforscher warnt eindringlich: „Wer sich auf einen Deal mit Putin auf Kosten des Selbstbestimmungsrechtes der Ukraine, Polens, der Balten, Moldawiens oder Georgiens einstellt, erhöht im Ergebnis nur die Wahrscheinlichkeit einer Ausweitung des Krieges.“

Sieg der Ukraine realistisch, aber nur mit Hilfe des Westens

Im zweiten Szenario, das Andreas Heinemann-Grüder skizziert, gewinnt die Ukraine. Dies sei nicht unrealistisch. „Großmächte sind schon häufig trotz Atomwaffen und Materialüberlegenheit besiegt worden: Großbritannien von den US-Kolonien, Frankreich in Algerien, die USA in Vietnam, die Sowjetunion in Afghanistan, die USA in Syrien und Afghanistan.“

Voraussetzungen dafür seien jedoch weitere massive Unterstützungsleistungen des Westens. „Der strategische Einsatz von Ressourcen, hochpräzise Distanzwaffen, die Unterbindung des Nachschubs, Partisanenkriege, Cyberattacken und die Sanktionen können das Blatt auch zugunsten der Ukraine wenden.“

Ein ukrainischer Soldat hilft einem verwundeten Kameraden in dem befreiten Gebiet in der Region Charkiw.
Kostiantyn Liberov/AP/dpa Ein ukrainischer Soldat hilft einem verwundeten Kameraden in dem befreiten Gebiet in der Region Charkiw.

Eines steht für den Politikwissenschaftler außer Frage: „Solange Putin meint, für den Frieden könne er dem Westen eine Neutralitätsgarantie für die Ukraine abhandeln, wird er sich keine Grenzen auferlegen. Seit Putins Krieg kann die Ablehnung einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine nicht mehr mit Sicherheitsinteressen Russlands begründet werden, sondern nur mit der Weigerung der Nato-Mitgliedstaaten, die Sicherheit der Ukraine zu garantieren.“

Putins Niederlage ist Europas und Russlands einzige Chance

Nach Überzeugung Heinemann-Grüders besteht die einzige Chance auf Beendigung der Kampfhandlungen im „vollständigen Debakel der russischen Kriegsführung“. Putins Niederlage sei Europas und Russlands einzige Chance.

„Putin wird dort gestoppt, wo wir ihn gemeinsam mit der Ukraine stoppen. Ein Friedensabkommen wird mit Putin nicht mehr möglich sein, das von ihm repräsentierte Regime ist strukturell nicht friedensfähig.“

Der Politikwissenschaftler hält ein Ende des Krieges zwar für denkbar. „Allerdings nur, wenn Putin keine andere Wahl mehr hat und die internationalen Sicherheitsgarantien für die Ukraine robust sind.“

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