Gastkommentar

Spiel mit dem Feuer – die Einflussnahme der Türkei im Südkaukasus birgt Gefahren

Seine aussenpolitischen Ambitionen lebt der türkische Präsident Erdogan auch im Kaukasus aus – mit einer massiven Aufrüstung der aserbaidschanischen Armee gegen Armenien. Dass er mittlerweile jihadistische Kämpfer aus Syrien ins Spiel bringt, birgt ruinöse Risiken.

Shushanik Minasyan
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Achse der Eintracht: Der türkische Präsident Erdogan und der aserbaidschanische Präsident Alijew prangen samt jeweiliger Nationalflagge übergross an einer Fassade im anatolischen Keciören.

Achse der Eintracht: Der türkische Präsident Erdogan und der aserbaidschanische Präsident Alijew prangen samt jeweiliger Nationalflagge übergross an einer Fassade im anatolischen Keciören.

Altan Gocher / Imago

Lange wurde das Risiko einer Eskalation des Karabach-Konfliktes von der internationalen Gemeinschaft unterschätzt. Die Vermittlungsversuche der OSZE-Minsk-Gruppe dienten an erster Stelle der Wahrung des Status quo, in der Hoffnung, die Kampfbereitschaft an den Frontlinien dauerhaft entschärfen zu können. Das gewaltsame Wiederaufflammen des Krieges am 27. September offenbarte allerdings eine andere Realität: Die Konfliktparteien haben sich in den vergangenen Jahren nach und nach in eine Sackgasse manövriert, die für beide Seiten schmerzhaft ist. Armenien und Aserbaidschan haben sich zwar am 10. Oktober in Moskau auf eine temporäre «humanitäre Waffenruhe» geeinigt. Doch wurde diese schnell wieder brüchig. Der weitere Verlauf der Kriegshandlungen bleibt offen.

Fehlende türkische Neutralität

Während die Welt die Konfliktparteien mit Friedensappellen an den Verhandlungstisch zu bringen versucht, blockt Ankara diese Bemühungen ab. Erdogan fordert den aserbaidschanischen «Bruder» demonstrativ auf, keinerlei Kompromisse einzugehen, und sichert dabei Unterstützung jeglicher Art zu. Damit verleiht er dem Konflikt eine neue Dimension und lässt die unmittelbare Mitverantwortung der Türkei an der gewaltsamen Eskalation als unbestritten erscheinen.

Die Ausbreitung des radikalen Islamismus im Schwarzmeerraum wird für Brüssel eine Herausforderung besonderer Art werden.

Dem benachbarten südlichen Kaukasus kommt in der türkischen Aussenpolitik generell eine wichtige Rolle zu. Bereits nach dem Zerfall der Sowjetunion versuchte die Türkei, eigene Machtpositionen mit pantürkischer Ideologie in der Region aufzubauen. Diese Ambitionen erwiesen sich allerdings als allzu ehrgeizig. Der Türkei fehlten regionale Ressourcen sowie konkrete Handlungsansätze, um Moskau bei der Wiederbelebung seiner Vorherrschaftsansprüche auf Augenhöhe zu begegnen. In den Folgejahren intensivierte Ankara die wirtschaftspolitische Kooperation mit Baku und Tbilissi. Nach und nach verschaffte es sich parallel sicherheitspolitische Bewegungsräume. Insbesondere die militärpolitische Partnerschaft mit Baku wurde vorrangig aufgebaut.

In den vergangenen Jahren ist der Ton Ankaras aggressiver geworden. Erdogan beansprucht die Mitbestimmung im regionalen Geschehen, aber vor allem im Karabach-Konflikt. Die politische Solidarisierung mit Baku in diesem Konflikt sollte aber nicht als moralische Verpflichtung gegenüber dem religiös nahestehenden Partner verstanden werden. Ankara benutzt die Schutzmachtfunktion grundsätzlich als Mittel zum Ausbau seiner begrenzten regionalen Machtposition.

Aufgrund der fehlenden Neutralität gegenüber den Konfliktparteien blieb dieser Wunsch allerdings bisher unerfüllt. Nun versucht die Türkei, mit einer anderen Taktik Oberhand zu gewinnen, was jedoch schwerwiegende Folgen für die regionale Stabilität haben wird. Neben der massiven Aufrüstung der aserbaidschanischen Armee unterstützt Ankara nun zusätzlich die Rekrutierung jihadistischer Kämpfer aus Syrien.

Gefährdeter Schwarzmeerraum

Klar ist, dass jede Waffenlieferung in ein Krisengebiet grundsätzlich die Gefahr birgt, die Gewalt weiter eskalieren zu lassen. Vor dem Hintergrund der weiterhin aktiven islamistischen Szene im Nordkaukasus birgt die Einbeziehung radikalislamischer Kräfte in diesen Konflikt allerdings ruinöse Risiken. Zwar agiert die neue Generation nordkaukasischer Jihadisten hauptsächlich auf afghanischem Kriegsschauplatz, einige Kämpfer sind jedoch weiterhin im Nordkaukasus aktiv. Das zeigte sich bereits bei gewaltsamen Zwischenfällen im Jahr 2016/17 in Tschetschenien. Der Südkaukasus bietet ein ideales Rückzugsgebiet und einen Nährboden für die extremistischen und radikalislamistischen Akteure.

Mit dieser neuen Dimension des Karabach-Konfliktes steigt die Gefahr, dass sich die gesamte Kaukasusregion zur Hochburg jihadistischer Gruppierungen entwickelt. Moskau versucht bereits mit konkreten Massnahmen, diese Entwicklung einzudämmen. Erst kürzlich wurde ein hochrangiger Militärbeamter, Sergei Melikow, zum Regierungschef der an Aserbaidschan angrenzenden Republik Dagestan ernannt. Melikow war eine zentrale Figur in der russischen Terrorismusbekämpfung sowie der Gründung der russischen Nationalgarde.

Die drohende Instabilität der Region bringt auch die EU in ein Dilemma. Die bisher vorhandenen Demokratisierungstendenzen können von radikalen Kräften unterlaufen werden. Vor allem für das multiethnische Georgien stellt eine derartige Entwicklung ein ernsthaftes Sicherheitsrisiko dar. Die Ausbreitung des radikalen Islamismus im Schwarzmeerraum wird für Brüssel eine Herausforderung besonderer Art werden.

Shushanik Minasyan ist Politikwissenschafterin an der Universität Bonn mit dem Forschungsschwerpunkt Südkaukasus, Kaspischer Raum sowie Europäische Aussen- und Sicherheitspolitik.


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