In der EU sind kurzfristige Stromausfälle im Jahr 2021 um mehr als 50 % gestiegen. Es wird immer schwieriger, die Stromversorgung stabil zu halten

In der EU sind kurzfristige Stromausfälle im Jahr 2021 um mehr als 50 % gestiegen. Es wird immer schwieriger, die Stromversorgung stabil zu halten (Quelle: Adobe Stock)

Ein kritischer Blick auf den Stromversorgungsbericht des BMWK

Anfang Februar hatte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) einen neuen Bericht zur Überwachung der Stromversorgungssicherheit Deutschlands für den Zeitraum 2025 bis 2030 veröffentlicht [1]. Der Bericht basierte auf mehreren Untersuchungen und kam zu dem Ergebnis, dass die Stromversorgungssicherheit Deutschlands bis 2030 jederzeit gewährleistet sei – obwohl ein Anstieg des nationalen Stromverbrauchs durch Wärmepumpen, E-Mobilität oder Elektrolyseure auf mehr als 550 TWh pro Jahr bis 2030 (von 484 TWh in 2022) steigen wird und gleichzeitig die Außerbetriebnahme der letzten drei Kernkraftwerke im April 2023 und des geplanten Kohleausstiegs bis 2030 zusätzliche Anforderungen an die Stromversorgungssicherheit hervorrufen wird.

Ein genauerer Blick in den Bericht zeigt jedoch, dass diese Schlussfolgerung auf einer Vielzahl von Vorbedingungen und Best-Case-Szenarien beruht – sowohl für eine ausreichende Erzeugungskapazität als auch für ausreichenden Netzausbau. Dem Bericht zufolge sei das Stromsystem bei der Umsetzung dieser Ziele sogar so robust, dass die Versorgungssicherheit gewährleistet wäre –, selbst wenn 10 GW weniger Erzeugungskapazität auf dem Markt wären. Allerdings müssten flexible Lasten und Speicher zur Regulierung des Strombedarfs sowie zusätzliche regelbare Gaskraftwerke in der Größenordnung von 17-21 GW bis 2031 für die intermittierende Erzeugung von Wind und Sonne schnell gebaut werden. 

Der Stromverbrauch in Deutschland liegt derzeit tagsüber bei durchschnittlich rund 60.000 MWh. Aber dieser kann an den kältesten Wintertagen, wenn Haushalte mehr Gas zum Heizen verbrennen, auf bis zu 80.000 MWh ansteigen. Dann ist Deutschland gezwungen, seine Gasspeicher anzuzapfen und/oder mehr Strom aus den Nachbarländern zu importieren, um das Defizit zu schließen. Im vergangenen Jahr musste Deutschland allerdings selbst den Anteil der Verbindungskapazität für Exporte von etwa 30 auf 41 % erhöhen, um so größere Stromexporte nach Frankreich zu ermöglichen und im Gegenzug mehr Gas aus Frankreich zu erhalten.

Der Bericht steht im Gegensatz zu anderen Medienberichten, wonach die Bundesnetzagentur für den letzten Winter bereits für den Notfall plante, die Stromversorgung von Wärmepumpen und EV-Ladestationen zu rationieren, um die Verteilnetze auszugleichen und diese vor dem Zusammenbruch zu schützen. Auch schloss die Bundesnetzagentur keineswegs aus, auch die Ladezeiten für Elektroautos auf nur drei Stunden zu begrenzen, um zumindest eine Wegstrecke von nur 50 km zurücklegen zu können. Diese Notfallplanung verdeutlichte bereits, dass die lokalen Verteilnetze zu einem immer größeren Nadelöhr der Energiewende werden [2]. 

Zudem hatte auch das Energiewirtschaftliche Institut (EWI) in Köln in einer neuen Studie vom Februar dieses Jahres auf die zunehmende Wetterabhängigkeit bei gleichzeitigem Rückbau steuerbarer Leistung und höheren Lastspitzen sowie steigender Stromnachfrage hingewiesen und dabei mehr und größere Versorgungslücken bei extremen Wettersituationen festgestellt. Gleichzeitig ging die Studie von einer 30-prozentigen Importabhängigkeit bei der Deckung der Stromnachfrage in allen Szenarien aus, womit auch die Abhängigkeit der deutschen Stromversorgungssicherheit von ausreichenden Exportkapazitäten der Nachbarstaaten aufgezeigt wurde [3]. 

Während sich die Aufmerksamkeit bisher vor allem auf den Ausbau der großen und weiten Nord-Südstromtrassen von der Nord- und Ostsee bis nach Bayern konzentrierte, dessen Ausbau immer wieder von Verzögerungen und lokalen Einsprüchen geprägt war, droht den regionalen Verteilnetzen mit dem weiteren Ausbau von Elektromobilität, Wärmepumpen etc. bereits kurzfristig ein Kollaps, der zu lokalen und regionalen Stromausfällen führen kann, wie Experten nicht nur für Bayern und Nordrhein Westfalen warnen.  

Nach einigen Schätzungen würden allein der Ausbau und die Modernisierung des deutschen Stromnetzes mehr als 100 Mrd. € bis 2030 kosten. Bis zum Jahr 2045 werden die Investitionen der Land- und Unterwasserstromleitungen der Offshore-Windparks sogar auf 245 Mrd. € beziffert. 

Eine europaweite Investition in das EU-Stromnetz mit über 520 Mio. Endverbrauchern in 32 Ländern wird im Zeitraum 2020-2030 auf mehr als 584 Mrd. € beziffert. Dies schließt auch den Neubau von 12.430 km neuen Stromleitungen an Land und 13.310 km an Offshore-Grids ein. Allein für die Digitalisierung des Stromsektors und eines automatisierten Netzmanagement werden 170 Mrd. € benötigt. Bis 2045 müssen rund 400-445 GW Solarkraft, 160-180 GW Windkraft an Land und 70 GW Windkraft auf See aufgebaut werden. Die gesamte Stromnachfrage wird sich bis dahin auf 899-1053 TWh bis 2027 fast verdoppeln. Dies stellt einen Anstieg um 40-44 % gegenüber dem älteren Netzentwicklungsplans für das Jahr 2035 dar. Gleichzeitig soll der Anteil der EE von 37 % in 2020 auf 65 % bereits in 2030 zunehmen [4]. Damit werden kosteneffiziente Investitionen in den öffentlichen Diskussionen mehr denn je notwendig sein, da Deutschlands Energiewende sich nach neuesten Kostenschätzungen auf bis zu einer Billion Euro bis 2030 belaufen könnten, um die ehrgeizigen nationalen und EU-Klimaziele umzusetzen.  

Bei den nationalen Diskussionen muss zunächst beachtet werden, dass es keinen nationalen Strommarkt im herkömmlichen Sinne mehr gibt, sondern dieser in einem gemeinsamen, integrierten EU-Strombinnenmarkt aufgegangen ist. Somit hängt eine „garantierte“ Stromversorgungssicherheit nicht nur von der deutschen Strompolitik und seinen Kapazitäten ab, sondern auch von jenen der EU-Nachbarstaaten und ihrer Strompolitik. Bis 2022 waren beispielsweise nur Deutschland und Frankreich Netto-Stromexporteure. Aber ab April 2022 wurde Frankreich aufgrund der vorübergehenden, aber viel länger als erwarteten Überholung von bis zu 29 seiner 56 Kernkraftwerke von einem Nettostromexporteur zu einem Nettostromimporteur (siehe Abb. 1). Mit dem Ausfall von 26 Kernkraftwerken verringerte sich die französische Stromerzeugung im Jahr 2022 um 15 %. 

Zudem hatte Norwegen geplant, die Stromexporte aufgrund des niedrigen Wasserstands für seine Wasserkraft notfalls gesetzlich einzuschränken, während andere europäische Länder ebenfalls mit einer unerwartet geringeren Stromerzeugung im letzten Sommer zu kämpfen hatten. Die geringen europäischen Wasserstände im Sommer 2022 betrafen auch den Rhein, über den jährlich 300 Mio. t von Gütern (einschl. Kohle für die deutschen Kraftwerke) transportiert werden und dessen geringe Wasserstände diesen Transport zeitweise nicht garantieren konnten.

Wie die meisten öffentlichen Diskussionen in Deutschland hat jedoch auch der Februar-Bericht des BMWK den Herausforderungen für die gesamte EU-Stromversorgungssicherheit unter der Berücksichtigung der Nachbarstaaten Deutschlands nur ungenügend Aufmerksamkeit geschenkt und basiert wie gesagt zumeist auf Best-Case-Szenarien. 

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