Das Schwarze Meer - geopolitischer Brennpunkt zwischen Donau und Kaukasus

21. November 2023 | 18:15-19:45 Uhr | Hörsaal III, Hauptgebäude Universität Bonn

Jahrhundertelang war das Schwarze Meer ein "blinder Fleck" für Geostrategen. Das Randmeer "weit im Osten" erregte nur sporadisch die europäische Aufmerksamkeit. Langwierige und blutige russisch-türkische Kriege um diese warmen Gewässer überzeugten die transatlantischen Machthaber schließlich davon, sich vorsichtig in der Region zu bewegen. Diese Haltung der Europäer gegenüber dem europäischen Meer, in das drei wichtige Flüsse Europas – Donau, Dnipro und Don – münden, ist jedoch eine Perspektive der Neuzeit. Das Schwarze Meer war jahrhundertelang der Motor der europäischen Zivilisation. Der wichtigste zivilisatorische Impuls des antiken Griechenlands, die Kolonisierung während der archaischen Periode, breitete sich auf der Seeseite des Pontus Euxinus (aus dem Lateinischen: "gastliches Meer") in der Größe von bis zu hundert Kolonien aus, obwohl die "schwarzen Gewässer" mit ihrem stürmischen Wetter und den rauen Strömungen doch keine Gastfreundschaft boten. Das Schwarze Meer wird später zur natürlichen Grenze zwischen der Kiewer Rus' und dem Byzantinischen Reich, den beiden großen Staaten an der Schnittstelle zwischen Nord und Süd, zwischen West und Ost. Die beiden frühmittelalterlichen Staaten stießen in den stürmischen Gewässern des Schwarzen Meeres in Kriegen aufeinander, aber es gab auch Momente eines schicksalhaften wirtschaftlichen und kulturellen Austauschs: In jenen Jahren verwandelte sich der erreichte Wohlstand der Region in eine epochale Staatsbildung.
 
Wenn man sich die Geschichte des Schwarzen Meeres anschaut, erkennt man sofort sein Hauptmerkmal – seinen dualistischen Charakter. In diesen Gewässern berühren sich Ost und West, Europa und Asien, hier trifft kontinentales Klima auf subtropisches, hier grenzen Christen an Muslime, demokratische Staaten an autoritäre. Das Schwarze Meer war jahrelang ein "Ernährer" für die Länder, die von den Handelsrouten dieser warmen Gewässer profitierten. Doch dieses Gefühl wirtschaftlicher Sicherheit hat sich in letzter Zeit in einen großen Unsicherheitsfaktor für die Region verwandelt. Statt Handelsschiffe mit Getreide auszusenden, erhält die Ukraine nun Raketen, die von der russischen Schwarzmeerflotte abgeschossen werden, und statt Meeresfrüchten sammeln die einheimischen Fischer Seeminen an den Küsten ein.
 
Die dramatischen Ereignisse rund um das Schwarze Meer, ausgelöst durch die russische Aggression gegen die Ukraine, betreffen heute nicht nur die Sicherheit der Anrainerstaaten – Bulgarien, Georgien, Rumänien, Russland, Türkei und Ukraine. Es scheint, als ob die globalisierte Welt die ganze Idee des "Randmeeres" verwerfen würde, und nun sind wir Zeuge, wie dieses Grenzgewässer eine neue Bedeutung in der modernen Geopolitik erhält. Können wir bereits erkennen, welche frische historische Rolle dieses dualistische Meer der Kreuzungen gewählt hat? Was ist von diesem "(un)gastlichen Meer" – Pontus Euxinus - zu erwarten?


Programm

Vortrag:
Olha Husieva, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK)

 

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