Im Interview mit 3sat beschreibt Prof. Dr. Ulrich Schlie eine Welt in einer Phase tiefgreifenden geopolitischen Wandels. Seit dem Ende des Kalten Krieges und der damit verbundenen bipolaren Ordnung ist die globale Struktur in Bewegung. Die USA waren über Jahrzehnte hinweg führende Weltmacht, doch diese Dominanz nähert sich ihrem Ende. Heute leben wir laut Schlie in einer postamerikanischen Welt, in der die Machtverhältnisse zunehmend multipolar werden.
China rückt als ökonomischer und sicherheitspolitischer Akteur ins Zentrum der Weltpolitik und stellt die größte Herausforderung für die USA dar. Russland hat sich von Europa abgewandt, ist zum Juniorpartner Chinas geworden und bleibt in seinem Zustand nach dem Krieg schwer einzuschätzen. Indien wiederum profitiert als aufstrebende Großmacht von der neuen Lage. Auch andere asiatische Staaten gewinnen an Bedeutung. Europa hingegen steht unter Druck, seinen Platz in der Weltpolitik neu zu definieren und zu behaupten.
Besonders kritisch bewertet Schlie die innenpolitische Entwicklung in den USA. Mit Donald Trump und dem Einfluss von Elon Musk habe sich eine neue politische Realität etabliert, in der traditionelle Regeln politischer Verantwortlichkeit zunehmend erodieren. Schlie spricht sich dafür aus, solchen Entwicklungen mit gesundem Misstrauen zu begegnen und fordert, sie wissenschaftlich zu untersuchen. Nur durch demokratisch legitimierte Kontrolle könne gesichert werden, dass Macht im 21. Jahrhundert nicht unkontrolliert und intransparent ausgeübt wird.