03. November 2022

CASSIS-Mitarbeiter Maximilian Schranner, Philip Nock und Frederik Schmitz in Blog 49security zur jungen Perspektive in der deutschen Sicherheitspolitik CASSIS-Mitarbeiter Maximilian Schranner, Philip Nock und Frederik Schmitz in Blog 49security

Die Cassis-Mitarbeiter Maximilian Schranner, Frederik Schmitz und Philip Nock verfassen zusammen mit Lukas Hochscheidt und Leonie Hopgood in einem Beitrag bei Blog 49security, warum der sicherheitspolitische Nachwuchs bereit ist, Verantwortung für schwere Entscheidungen zu übernehmen. 

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Where are we heading? Eine junge Perspektive

Der sicherheitspolitische Nachwuchs ist bereit Verantwortung für schwere Entscheidungen zu übernehmen. Denn sie wissen: Wer strategiefähig sein will, muss Prioritäten setzen.
Was sind aus der Perspektive junger Expert:innen die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Zukunft? Der völkerrechtswidrige russische Angriff auf die Ukraine und die darauf folgende ​‚Zeitenwende’ haben uns die Notwendigkeit breiterer Debatten über Sicherheitspolitik in aller Dringlichkeit vor Augen geführt. Als junger und daher besonders zukunftsgewandter Think Tank stellte sich Polis180 in seinem Summer of Security folglich auch die Frage ​„What’s ahead?”. Eine breite Vielzahl an Themen konnte aus den Reihen der Mitglieder zusammengetragen und beleuchtet werden. Doch gerade diese Generation ist sich bewusst, dass durch schrumpfende und gebundene Ressourcen – eine Folge der sich verschärfender klimatischer Veränderungen und globaler geopolitischer Spannungen –Priorisierungen notwendig werden. Für eine wirkliche Zeitenwende, eine Zeitenwende in den Köpfen, muss daher die Frage ​„Where are we heading?” – nach Zielen und Schwerpunkten deutscher und europäischer Außen- und Sicherheitspolitik – zentrales Element nachhaltiger strategischer Debatten sein. Auch, um vergangene Fehler nicht zu wiederholen. Die Verankerung eines solchen wirklich strategischen Verfahrens würde einen zukunftsweisenden praktischen Anteil der Nationalen Sicherheitsstrategie bilden. Diskussionen in den vielfältigen Initiativen von Polis180 zeigen, dass der Nachwuchs bereit ist, vergangene Grundsätze in Frage zu stellen, Politiken ernsthaft zu evaluieren und auch die gegebenenfalls schmerzhaften Konsequenzen notwendiger Entscheidungen zu tragen.

» Wir wünschen uns: Konkretere Zielformulierungen statt ‚muddling through‘. «
— Lukas Hochscheidt, Leonie Hopgood, Philip Nock, Frederik Schmitz und Maximilian Schranner


Nach der Zeitenwende-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz reifte bei Polis180die Idee: Wie wäre es, wenn junge Außen- und Sicherheitspolitik-Expert:innen den ganzen Sommer Ideen, Positionen und konkrete Vorschläge für die Nationale Sicherheitsstrategie erarbeiten? Bündnisverteidigung statt Badesee, Strategie statt Strandurlaub – und so wurde aus einem Arbeitstitel ein Programm: Im Summer of Security sind zwischen Juni und September 2022einzigartige und vielfältige Beiträge rund um die Zukunft der deutschen Sicherheitspolitik entstanden. Die wichtigsten Erkenntnisse des Sommers stellen wir hier vor.

Ein Sommer der Sicherheit
Alle entstandenen Stücke eint die Tatsache, dass sie junge Perspektiven abbilden – gleichzeitig könnten die behandelten Themen nicht vielfältiger sein. Von der Auseinandersetzung mit historisierenden Propaganda-Narrativen Chinas bis zum Bürgergeld beleuchtet unsere Reihe eine Vielzahl an Aspekten von Sicherheit. Damit ist das spannendste Ergebnis des Projekts womöglich nicht sein Inhalt, sondern die Methode. Denn wenn man jungen Expert:innen eine carte blanche zur Nationalen Sicherheitsstrategie gibt, dann lernt man, wie sie ​‚Sicherheit‘ denken.

Unsere Autor:innen sprechen über Rechtsextremismus und was das für Frauen bedeutet. Sie demonstrieren, dass soziale Sicherheit erforderlich ist, um nationale Sicherheit in einer globalisierten Welt umzusetzen. Sie zeigen, dass man konkurrierende Systeme und ihre Sprache verstehen muss, um militärische Gefahren einzuordnen. Sie sprechen über die Ökonomie der Sicherheit, wenn zu wenig Geld in friedenssichernde Außenpolitik investiert wird. Und sie zeigen die vielen Querschnitte zwischen Sicherheit und anderen Politikfeldern wie Digitalisierung (Cyber-Security) und Klimapolitik (climate conflicts). Wichtig ist ihnen, Sicherheit nicht nur begrifflich ganzheitlich zu denken, sondern auch zusammen mit anderen an ihr zu arbeiten. Der Summer of Security beweist: Junge Expert:innen denken kreativ, kollaborativ und vernetzt über Sicherheit nach. 

Das breite Verständnis integrierter Sicherheit unserer jungen Perspektive stellt besondere Herausforderungen an Strategiefindung und Strategiebildung. Nicht nur die Resultate des Summer of Security machen klar, dass nationale Sicherheit in Zeiten geopolitischer Verwerfungen, globaler Interdependenzen und massiver klimatischer Veränderungen holistisch verstanden und in der praktischen Politik bearbeitet werden muss. Und doch bleiben Forderungennach einem strategischen, ernsthaften, gemeinsamen Blick in die Zukunft und zielorientierter, effektiver Ressortzusammenarbeit unerfüllt. 

Was tun, damit sich etwas ändert?
Was müsste getan werden, damit sich das ändert? Was sind deutsche Interessen und Ziele und welche Thematiken werden daraus folgend mit welchem Mitteleinsatz priorisiert? Trotz der Weißbücher, Leitlinien und Strategiedokumente der letzten Jahre bleibt eine gehaltvolle Auseinandersetzung mit den deutschen und europäischen Zielen aus, was jedoch gerade der jungen Generation am Herzen liegt. Wir wünschen uns: Konkretere Zielformulierungen statt ​‚muddling through‘. Einerseits kann nur so die deutsche Position gegenüber Partnern und potenziellen Gegenspielern glaubhaft dargestellt werden. Andererseits zwingen globale Herausforderungen wie der fortschreitende Klimawandel, die rasante Digitalisierung sämtlicher Gesellschaftsbereiche, die Nachwirkungen der anhaltenden COVID-19-Pandemie sowie die Zunahme geopolitischer und geoökonomischer Spannungen die Bundesregierung zu notwendigen Priorisierungen. Nur mit der Formulierung konkreter Ziele, Visionen und Prioritäten kann die deutsche Außenpolitik angesichts des fortschreitenden demographischen Wandels und der anstehenden Haushaltseinschnitte nachhaltiger, aktiver und gestaltungskräftiger aufgestellt werden.

Die Beispiele aus Gegenwart und jüngerer Vergangenheit, die die Notwendigkeit geteilter Zielformulierungen deutlich machen, sind zahlreich und virulent. Welche Ziele verfolgte die deutsche und internationale Politik in Afghanistan im Spannungsfeld von Terrorismusbekämpfung und Nation Building? Wären nicht anstelle von Absichtserklärungen in einzelnen Ressorts geteilte Visionen und Zielvorstellungen für ein kohärentes Vorgehen der deutschen Akteure hilfreich gewesen? Welche deutschen und europäischen Interessen standen und stehen im Umgang mit Russland im Vordergrund? Die sich heute von selbst beantwortende Frage lautet: War es klug, die Quellen unseres Wohlstands von den Quellen unserer Sicherheit abgekoppeltzu haben?

» Die deutsche Strategiefähigkeit fußt auf gemeinsamen europäischen Zielen und Priorisierungen. «
— Lukas Hochscheidt, Leonie Hopgood, Philip Nock, Frederik Schmitz und Maximilian Schranner


Für zukünftiges strategisches Handeln bleiben Fragen dieser Art nicht außen vor: Ähnliche Debatten müssen aus unserer Perspektive um eine strategische Interdependenz mit dem global agierenden China geführt werden. Wie kann sich Berlin im Verbund mit seinen internationalen Partnern in der globalen Digital- und Technologiepolitik besser aufstellen? Was ist die deutsche und europäische Vision der transatlantischen Beziehungen für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre? Mit welchen Interessen und roten Linien tritt Deutschland den nicht nur finanziell machtvollen Golfstaaten gegenüber? Welche Rolle kann und will Deutschland im Indo-Pazifik übernehmen? Priorisiert die Bundesrepublik angesichts der sichtbar wachsenden Herausforderungen des Klimawandels die Sicherung der eigenen beziehungsweise europäischen Wohlstandsposition oder einen globalen und gerechten Ansatz? Die Zurückhaltung in der politischen Praxis, sich auf klar kommunizierte Zielvorstellungen festzulegen, ist zwar nachvollziehbar, da sie den eigenen Handlungsspielraum einschränken könnten. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass solche Entscheidungen über strategische Absichten und Priorisierungen täglich und ohne eine größere Debatte von der Regierung und in den politischen Rängen der Ministerien getroffen werden. In den schlechtesten Fällen ad hoc oder in wenig sachorientierter Konkurrenz zwischen einzelnen Ministerien und ihren Hausspitzen. 

Was tun, damit die Veränderung bleibt? 
Um eine nachhaltig wirksame und strategisch kluge Politik im Sinne der jüngeren Generation zu gestalten, muss die Bundesregierung sich außerdem mit unseren europäischen und globalen Partnern über ihre Ziele abstimmen. Ob es um den Aufbau einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur, den Abbau von einseitigen Abhängigkeiten oder das Zusammendenken von Klimaschutz und Sicherheitspolitik geht: Die deutsche Strategiefähigkeit fußt auf gemeinsamen europäischen Zielen und Priorisierungen. Sie machen einen strategischen Dialog auf Augenhöhe über Interessen und Werte sowohl mit Partnern als auch potenziellen Gegenspielern möglich. 

Dieser stetige Aushandlungsprozess, der sich selbstverständlich neuen und sich verändernden Lagen anpassen kann und muss, erfordert die Debatte in der Öffentlichkeit. Deren Einbezug beim Dialogprozess für die neue Nationale Sicherheitsstrategie war ermutigend. Eine Verstetigung als explizites Vorhaben in der Nationalen Sicherheitsstrategie wäre ein ernstzunehmender Fortschritt. Es ist notwendig, dass die sicherheitspolitische Debatte insbesondere diejenigen miteinbezieht, die von den Auswirkungen der gegenwärtigen Politik betroffen sein werden. Während amtierende Entscheidungsträger:innen in ihren Realitäten gewachsen sind, blickt die junge Generation mit anderen Perspektiven auf die Zukunft. Die reaktive Politik, die im schlechtesten Sinne pragmatisch den kürzesten Weg zum status quo ante sucht und auf dem opportunistischen Prinzip beruht, etwaige Unannehmlichkeiten zu vermeiden, hat ausgedient. Jüngere Expert:innen – von der Klimabewegung bis hin zu außen- und sicherheitspolitisch Interessierten – sind sich bewusst, dass es zukunftsgerichtete realpolitische und moralische, sachliche Schwerpunktsetzungen geben muss. Priorisierung beginnend bei kritischer Infrastruktur bis hin zur deutschen Rolle in Europa. Die Generation junger Expert:innen und Praktiker:innen ist sich auf Basis eines breiten Sicherheitsbegriffs bewusst, dass die internationalen Herausforderungen in Zukunft nicht kleiner werden. Sie wissen, dass die zur Verfügung stehenden Ressourcen durch geopolitische und geoökonomische Verwerfungen ebenso wie die schwerwiegenden klimatischen Veränderungen schrumpfen oder gebunden sein werden. Junge Expert:innen wollen Verantwortung, insbesondere für die Zukunft, annehmen.
Kernpunkte:
Der Nachwuchs sicherheitspolitischer Expert:innen ist bereit, auf Basis eines breiten Sicherheitsbegriffs Verantwortung zu übernehmen und die schmerzhaften Konsequenzen notwendiger Entscheidungen zu tragen.
Für eine wirkliche Zeitenwende müssen Zielen und Prioritäten zentrale Elemente nachhaltiger strategischer Debatten sein. 
Für eine legitime strategische außen- und sicherheitspolitische Positionierung nach außen und innen ist der regelmäßige öffentlich und über verschiedene Ebenen des politischen Prozesses und in der Breite der Gesellschaft hinweg geführte Austausch über Ziele und Priorisierungen unerlässlich. Die breite und sachlich tiefe Auseinandersetzung der Bevölkerung über die Ziele und Prioritäten der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ermöglicht eine legitimere Basis für nachhaltigere und stringentere Politik. Sie führt zur Verstetigung einer ernsthaften strategischen Debattenkultur; einer klareren Perzeption der deutschen Position bei internationalen Partnern; aber auch der Formulierung fester roter Linien gegenüber Gegenspielern. Sie bietet nicht zuletzt einen Weg, dem Mangel an Umsetzung und Implementierung strategischer Politik anhand von Trickle-Down über alle Ebenen vom Kabinettstisch bis hin zur Ortsbehörde durch die Verantwortlichkeit gegenüber gemeinsam formulierten Zielvorstellungen im gesamten politischen und bürokratischen Apparat zu begegnen. Diese breit geführte Diskussion muss laufend zwischen politischen Entscheidungsträger:innen, Beamten, mit internationalen Partnern, aber auch insbesondere der interessierten und engagierten jungen Generation, rückbezogen werden. Abgesehen von thematischen Schwerpunktsetzungen wäre die Verankerung eines solchen im tiefsten Sinne strategischen Verfahrens und die Verpflichtung zu einem verdauerten Diskurs ein relevanter und innovativer Mehrwert für die Nationale Sicherheitsstrategie.

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